: Matthias Platzeck, der Kita-Schreck
SPD-Chef Platzeck will Kitas für alle – als Bundespolitiker. Als Landeschef Brandenburgs hat er bei ihnen massiv gekürzt
BERLIN taz ■ Als Bundespolitiker setzt der neue SPD-Vorsitzende Matthias Platzeck eindeutige Prioritäten. „Wir Sozialdemokraten sind es, die eine Gesellschaft mit Lebenschancen für alle wollen“, verkündete Platzeck nach der jüngsten Klausurtagung seiner Partei, „darum müssen wir im 21. Jahrhundert die Bildungspartei in Deutschland sein.“ Bildung – das beginnt für Platzeck schon im Vorschulalter in den Kitas: „Wenn wir die steigenden Zahlen von Kindern ohne Schulreife registrieren, dann können wir nicht einfach zugucken.“
Nun ist Platzeck aber seit 2002 auch Ministerpräsident von Brandenburg. Und dort hat sich seitdem die Kinderbetreuung nicht gerade verbessert. Im Bildungsbereich wurde im Rahmen des „kommunalen Entlastungsgesetzes“, das 2003 in Kraft trat, kräftig gespart. Das betraf auch die Kitas. „Es erstaunt mich schon, dass die Gleichen, die damals so kräftig an der Kinderbetreuung gespart haben, jetzt von kostenfreier Kinderbetreuung reden“, sagte Erich Wangerin, stellvertretender Landesvorsitzender der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft in Brandenburg, zur taz.
Im Brandenburger Landeshaushalt wurden 2003 die Zuweisungen für die Kitas um rund 8,8 Millionen Euro gekürzt. Auch der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz, der in der Landesverfassung verankert ist, wurde eingeschränkt. Kinder zwischen 2 und 4 Jahren haben nur noch Anspruch auf einen Platz, wenn beide Eltern berufstätig oder außer Haus tätig sind. Ohnehin benachteiligte Kinder erwerbsloser Eltern haben keinen Anspruch mehr auf einen Kita-Platz.
SPD und CDU hätten „auf Landesebene gemeinsam den Betreuungsanspruch für Kinder kontinuierlich eingeschränkt“, erklärt die stellvertretende Parteivorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping.
Weil weniger Kinder Anspruch auf einen Platz haben, sollten die Gemeinden weitere 60 Millionen einsparen. „Das Problem ist, dass die Gemeinden diese Summe nie erbringen konnten“, sagt Gerrit Große, bildungspolitische Sprecherin der Linkspartei, „das Entlastungsgesetz ging auf Kosten der Kommunen.“
Insgesamt wurden die Landeszuschüsse für die Gemeinden 2003 um 140 Millionen Euro gekürzt. An Geld fehlt es in manchen brandenburgischen Gemeinden und Kreisen auch für die medizinischen Reihenuntersuchungen in Kitas. Für Dritt- und Viertklässler wurden diese Gesundheitschecks komplett gestrichen. Jedes Kitakind hingegen soll nach wie vor einmal jährlich untersucht werden.
Auch Platzeck findet regelmäßige Untersuchungen im Vorschulalter wichtig. Sein Vorbild ist dabei Finnland, wo sie Pflicht sind: „Wenn es Schwierigkeiten in der Entwicklung gibt, lassen die sich in dieser Phase leichter korrigieren, als wenn man bis zum Einschulungsalter wartet“, sagte er in einem Interview. Auch Bernd Müller-Senftleben, Referent für Sozialmedizin und Sozialpädiatrie im brandenburgischen Gesundheitsministerium, hält die regelmäßigen Checks für wichtig. Tatsächlich durchgeführt werden diese Untersuchungen im Schnitt bei knapp 40 Prozent der Kinder.
Durch Rente oder Pensionierung frei werdende Stellen werden laut Müller-Senftleben oft nicht neu besetzt – wie im Landkreis Teltow-Fläming, wo die Untersuchungsquote bei den Zwei- bis Vierjährigen bei 36 Prozent liegt: Von vier zuständigen Amtsärzten waren durch Pensionierung und Krankheit zeitweise nur zwei im Einsatz. Das Brandenburger Gesundheitsministerium schickte Ende Dezember die Weisung herum, solche Zustände zu beenden. Doch ohne Geld könnte das schwierig werden, denn auch im Gesundheitsbereich wird in Brandenburg gespart. KERSTIN SPECKNER