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: Agitprop aus Afrika

Mit der nötigen Klarheit: Ousmane Sembenes jüngster Film „Moolade“ macht sich gegen Genitalverstümmelung stark

Die Bedeutung Ousmane Sembenes für das schwarzafrikanische Kino ist kaum zu überschätzen. Seit nunmehr 40 Jahren dreht der senegalesische Regisseur und Romanautor Filme – solche, die sich als Selbstverständigung über Probleme des eigenen Landes (und Kontinents) verstehen, und solche, die die kritische Auseinandersetzung mit früheren Kolonialmächten suchen. Sembene ist eine der wenigen Stimmen Schwarzafrikas, die überhaupt über den engen Kreis der für den Kontinent Engagierten hinaus wahrgenommen werden, und er ist einer der wenigen afrikanischen Regisseure, der den Problemen des Kontinents eine politisch wie ästhetisch gültige Darstellung gibt.

Schon mit seinem Spielfilmdebüt „La Noire de …“ (1966) hielt er dem postkolonialen Frankreich einen Spiegel vor. Am Beispiel eines schwarzen Dienstmädchens, das von einer französischen Familie in Dakar verpflichtet und nach Frankreich mitgenommen wird, werden das Fortleben von Rassismen, werden die selbstgefälligen Lügen und Heucheleien im Umgang mit dem kolonialen Erbe deutlich. Ästhetisch hat der bis heute ungebeugte Marxist schon in seinem Debüt als Regisseur seine Form gefunden, in einer Erzählweise zwischen Realismus und Allegorie. Er erzählt – durchaus in der Nachfolge Brecht’scher Lehrstücke – Geschichten, die für über das einzelne Schicksal hinausreichende Lesarten offen bleiben.

Diese Methode hat der inzwischen über 80-jährige Sembene in seinem jüngsten Film „Moolaade“ (2004) zur hohen Kunst eines zwischen Komik und Tragik balancierenden und dabei sehr unterhaltsamen Agitprop-Stücks verfeinert. Aus seinem Engagement, aus seiner Parteilichkeit macht der Film keinen Hehl. Die Genitalbeschneidung an jungen Mädchen, um die es geht, präsentiert er kompromisslos als Barbarei. Die Geschichte von vier Mädchen, die sich von der Szene ihrer geplanten Beschneidung in den Schutz einer Frau flüchten, die nicht ihre Mutter ist, wird zur feministischen Parabel. Sie überzeugt, indem sie ganz unsentimental mit der nötigen Klarheit sagt, was zu sagen ist.

„Moolaade“ ist das Wort für „Schutz“ und der Name eines durch Macht nicht zu brechenden Rituals. Collé, zu der die vier Mädchen geflohen sind, gibt ihnen Moolaade, indem sie eine Schnur vor dem Tor zu ihrem Hof anbringt. Damit entzieht sie die Kinder der Verfügung der rot gewandeten Beschneiderinnen. Gegen die barbarische Tradition der Verstümmelung setzt Collé die humane Tradition des Schutzworts. Alles unternehmen die Machthaber im Dorf, Collé zur Rücknahme des Schutzes zu zwingen. Sie mobilisieren den Ehemann, sie konfiszieren und verbrennen die Radios, in denen sie die Quelle der Insubordination vermuten. Zuletzt wird Collé auf dem Dorfplatz ausgepeitscht, vom eigenen Mann, aber sie beugt sich nicht.

Bewusst lässt Ousmane Sembene die genaue Situierung seiner Geschichte im Unklaren. Das Dorf in Burkina Faso, in dem gedreht wurde, steht für viele Dörfer, in denen die Tradition noch herrscht. Die Darsteller stammen aus verschiedenen Ländern, und in der Nebengeschichte um einen fliegenden Händler gelingt es Sembene sehr zwanglos, satirische Seitenhiebe gegen allgegenwärtige Globalisierungsdiskurse zu setzen.

„Moolaade“ lief 2004 in Cannes mit großem Erfolg und tauchte auf vielen Jahres-Top-Ten-Listen der Kritiker auf. Es ist schade, dass sich kein deutscher Verleih an diesen großartigen Film gewagt hat. Auch eine DVD gibt es hierzulande nicht. Die als Import erhältliche DVD aus England glänzt durch sehenswerte Extras, etwa eine Dokumentation von den Dreharbeiten und ein Interview, in dem Sembene das Konzept dieses Films und seines Kinos im Allgemeinen erläutert.

EKKEHARD KNÖRER

„Moolaade“ ist bei Artificial Eye erschienen und bei amazon.de für 29,99 Euro als Import erhältlich