: „Die Vorurteile sind immer noch da“
Maren Kroymann über schweigende Lesben, zögernde Politiker und die Fülle der Forschungslücken
taz: Frau Kroymann, Sie sind eine der Kuratorinnen der Initiative Queer Nations, die ja vor allem ein Institut zur Erforschung der Homosexualität etablieren möchte – wird das Thema wirklich noch zu wenig untersucht?
Maren Kroymann: Ja, denn es gibt, in großem Maßstab, kein von der jeweiligen politischen Situation, die sich leicht ändern kann, unabhängiges Institut, das sich mit dem Thema Homosexualität beschäftigt – und wenn, siehe das Frankfurter Institut, wird es totgespart. An allen Fronten wird gespart, und an dem Thema zuerst – vielleicht weil die Leute mittlerweile denken, der Homosexuelle an sich ist hipp und quietschvergnügt, nur weil am Christopher Street Day ein paar Transen durchs Bild laufen.
Immerhin.
Na ja, es läuft gerade mal ganz gut nach den Neuerungen von Rot-Grün. Die Leute denken jetzt: Alles prima. Homosexuelle sind akzeptiert. Aber durch den Regierungswechsel hat sich der Wind schon gedreht.
Woran sehen Sie das?
Ich mache es daran fest, wie Frauen und Familie behandelt werden. Denn wenn etwas für Frauen getan wird, wird meistens auch etwas für Homosexuelle getan. Das ist deutlich kein Schwerpunkt mehr in dieser neuen Regierung. Selbst wenn die SPD wollte – mit der CDU wird sie keine homosexuellen Themen besetzen. Das sieht man schon daran, dass es keinen CDU-Politiker gibt, der offen schwul ist. Ole von Beust hat nicht dementiert, als sein Vater sagte, er sei es. Aber „Ich bin schwul“ hat er nie gesagt, und das ist etwas anderes. Es gibt nur eine Frau bei der CDU, die sich geoutet hat. Das war Annette Schavan – und die hat sich ja leider als Nichtlesbe geoutet.
Queer Nations hat den Ansatz, möglichst viele gesellschaftliche Gruppen einzubinden – auch Heterosexuelle. Im Kuratorium aber überwiegen die „üblichen Verdächtigen“.
Es gab bestimmt auch andere, die man sich gewünscht hätte, aber dafür kann Queer Nations nichts, dass es einigen Prominenten nach wie vor zu brisant ist, da aufzutauchen. Genau das begründet, warum dieses Institut so wichtig ist. Die Vorurteile gegen Homosexualität tarnen sich heute stärker, aber sie sind noch da.
Auf welche Art und Weise verbergen die Menschen ihre Vorurteile?
Indem man etwa sagt: Man habe doch nichts gegen Homosexuelle, natürlich nicht! Aber dann läuft man schreiend raus, wenn eine offen erkennbare Homosexuelle den Raum betritt und man um Gottes willen nicht im selben Raum gesehen und in den Zusammenhang gebracht werden will. Auf der Glamour-Ebene gibt es – mal abgesehen von Hella von Sinnen und Cornelia Scheel – kein sichtbares Lesbenpaar. Es gibt da ja durchaus Lesben, wie wir wissen. Aber keine Angst, ich heiße nicht Rosa und werde niemanden outen. Das wünsche ich mir für das Institut als ersten Forschungsgegenstand, warum das so ist bei den Frauen.
Sie unterstützen das Projekt auch durch Ihre Popularität. Ist die merklich gesunken, seit Sie sich öffentlich als Lesbe geoutet haben? Oder interessiert das heute nicht mehr?
Meine Popularität bei bestimmten Entscheidungsträgern im Fernsehen ist rapide gesunken, aber nicht unbedingt beim Publikum. Bei bestimmten Leuten ist sie sogar gestiegen.
Das Projekt ist auch als eine Art Entschädigungsgeste für die Leiden während der NS-Zeit gedacht. Dabei denkt man zuerst an Schwule. Wie sehr traf die Verfolgung Lesben?
Die Lesben sind viel indirekter diskriminiert worden. Es gibt wenige Fälle in den Akten von tatsächlicher physischer Verfolgung wegen Lesbianismus – es wurden andere Delikte vorgeschoben bei der Verhaftung. Die Frauen waren in der Gesellschaft, grob gesagt, nicht wichtig genug, um systematisch diskriminiert zu werden. Sie waren nicht Gegenstand des Paragrafen 175. Sie konnten sich verstecken. In einer Männergesellschaft zählen eben die Männer, es geht letztlich um das „verlorene“ Sperma. Bei den Frauen ist der ganze Sachverhalt abgeleugnet worden, dass es Lesbianismus überhaupt gibt. Das ist im Grunde die viel nachhaltigere Diskriminierung, auch wenn sie im Einzelfall die Menschen nicht so stark getroffen hat.
INTERVIEW: PHILIPP GESSLER