SPARDIKTAT: Die Schule dankt
VON MICHAEL BRAUN
Die Tochter mault. Wieder mal hat sie so gut wie nichts verstanden im Französischunterricht. Nicht etwa, weil die Lehrerin ihr Handwerk nicht beherrschte. Die Kids aus der Parallelklasse haben zu viel Theater gemacht. „Aus der Parallelklasse?“, frage ich erstaunt. Das sei immer so, erklärt Céline. „Wenn bei denen der Erdkundelehrer krank ist, kommen zehn von ihnen in unsere Klasse.“
Noch vor ein oder zwei Jahren riefen die Direktoren italienischer Schulen sofort einen Vertretungslehrer, wenn Personal ausfiel. „Wir kriegen keine Zuweisungen mehr für Kurzvertretungen“, erklärt Célines Direktorin, Chefin einer staatlichen Scuola Media in Rom. Schon die Regierung Berlusconi habe Milliardensummen gestrichen, unter Ministerpräsident Monti ging es weiter. „Mein Gehalt ist seit drei Jahren eingefroren“, schimpft ein Mitglied des Kollegiums. Es geht um ein Salär, das etwa 40 Prozent unter den Bezügen deutscher Lehrer liegt.
Zehntausende Stellen, für Lehrer genauso wie für Hausmeister, wurden an den Schulen abgebaut. Auch das bekommen wir zu spüren. Kaum hatte das Schuljahr begonnen, gab es Post: Ab sofort stehe nur noch ein Hausmeister zur Verfügung, deshalb könne „die Aufsicht im Schulgebäude nicht mehr garantiert“ werden. Was bedeutet: Die Schüler müssen in der Mittagspause vor die Tür, auf eigenes Risiko. Die Alternative: Die Eltern zahlen 40 Euro pro Kind pro Monat an einen privaten Verein, der sich um die Aufsicht kümmert.
Immer vollere Klassen, immer weniger Betreuungslehrer für Schüler mit Behinderungen, leere Kassen für Zusatzaktivitäten – die Lehrer rächen sich mit Dienst nach Vorschrift. „Die Klassenfahrten fallen dieses Jahr aus“, hieß es auf der Elternversammlung. Auch die Sprechstunden wurden radikal gekürzt.
Was immer die Lehrer freiwillig zusätzlich leisten, wird höchstens mit Centbeträgen vergütet. In Sizilien fragte das Schulministerium kürzlich bei einer Lateinlehrerin an, ob sie in einem Prüfungsausschuss für Lehramtsanwärter mitwirken wolle. Den gesamten Sommerurlaub im Juli und August mit der Korrektur der Arbeiten und hunderten Prüfungen zu verbringen – dafür hätte es eine Einmalzahlung von 500 Euro brutto gegeben, Fahrgeld inklusive. Die Lehrerin lehnte dankend ab.
Vielleicht hat sie jetzt eine neue Verbündete: Die neue Schulministerin, Maria Chiara Carozza, seit einem Monat im Amt, hat bereits mit Rücktritt gedroht, wenn es nicht mehr Geld für Italiens Schulen gibt.
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