Im Test: Demokratischer Islamismus : KOMMENTAR VON GEORG BALTISSEN
Respekt vorweg. Es war die fairste und demokratischste Wahl, die bislang in der arabischen Welt stattgefunden hat. Zu Recht können die Palästinenser jetzt behaupten, dass Israel nicht mehr die einzige Demokratie im Nahen Osten ist. Das ist ein beispielloser Erfolg für ein besetztes und traumatisiertes Land, international ein hohes Gut und ein Faustpfand der Demokratie. Wenn da nur nicht das Ergebnis wäre.
Jetzt ist eine Organisation an der Macht, deren politisches, kulturelles und terroristisches Gehabe so wenig mit Demokratie zu tun hat wie die Herrschaft der Sauds in Riad oder der Mubarak-Clique in Kairo. Die Erschütterung, die der Wahlsieg der Hamas auslöst, schürt Ängste und Bedenken, nicht nur in Israel, den USA oder bei der EU, sondern in der palästinensischen Gesellschaft selbst.
Der Druck, sich islamistischen Vorschriften anzupassen, wird zunehmen. Der Kampf um das Recht auf freie Meinung wird zur Grundsatzfrage. Und die politische Macht der Hamas wird die korrumpierte Fatah-Bewegung zur Anpassung zwingen. Die Politik wird ehrlicher, aber auch religiöser werden. Sie wird sich zu Lasten der christlichen Minderheit und der Emanzipation der Frau auswirken – ein Kulturkampf.
Außenpolitisch ist die Erschütterung nicht minder gravierend. Terroristen an der Macht! Der Schlachtruf wird die israelischen Wahlen im März beeinflussen. Die EU wird die Finanzierung der Autonomiebehörde überdenken, die USA werden die diplomatischen Kontakte einfrieren und Arabiens Könige und Emire werden ratlos aus der Wäsche gucken.
Doch Hamas ist nicht al-Qaida. Im Gegenteil: Von allen islamistischen Organisationen ist Hamas die berechenbarste. Und die anpassungsfähigste. Wenn sie international politikfähig sein will, muss sie dies jetzt überzeugend unter Beweis stellen, Terror und Vernichtung Israels aus dem Programm streichen.
Wenn dem Westen an der Demokratisierung des Nahen Ostens gelegen ist, kommt er an der unliebsamen Erkenntnis nicht vorbei: Wenn Muslime heute frei wählen, wählen sie islamistisch. Und die westliche Politik hat mit dem Hamas-Erfolg mehr zu tun, als sie bislang hat glauben wollen.