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Archiv-Artikel

„Die Leute sollen Sinnvolles tun“

„Auf soziale Belange müssten Unternehmen keine Rücksicht mehr nehmen. Beschäftigt würden nur die Besten, die mit Engagement arbeiten“

INTERVIEW ANDREAS WYPUTTA

taz: Frau Fischer, Herr Liebermann, was haben Sie eigentlich gegen Arbeit?

Ute Fischer: Gar nichts. Ich arbeite für mein Leben gern, wenn ich die Dinge tun kann, die mich antreiben.

Aber beide fordern Sie ein „bedingungsloses Grundeinkommen“. Das würde dazu führen, das weniger Menschen arbeiten müssen, arbeiten würden.

Sascha Liebermann: Weniger müssen schon. Ob sie weniger arbeiten würden, sei dahingestellt. Angesichts unserer Lage – ein enormer Wohlstand bei zugleich hoher Arbeitslosigkeit – stecken wir in einer Sackgasse. Selbst nach den konservativen Schätzungen der Bundesregierung suchen mindestens fünf Millionen Menschen eine Arbeit, und sie werden angehalten, dies ernsthaft zu tun. Das „Merkblatt für Arbeitslose“ der Bundesagentur droht deutlich mit Sanktionen. Mit unserem Modell des bedingungslosen Grundeinkommens dagegen fiele der Zwang zur Erwerbsarbeit weg. Das heißt aber nicht, dass alle untätig in der Ecke sitzen würden. Einen Beruf ergreift man doch auch heute nicht aus einem Zwang zur Selbstversorgung, sondern vielmehr aus einer inneren Motivation heraus. Und die ist doch die Grundlage für den beruflichen Erfolg, egal in welchem Bereich. Unser Modell des bedingungslosen Grundeinkommens würde den Bürgern die Freiheit geben, das zu tun, was sie wirklich wollen – ohne den Zwang, es um jeden Preis in Geld ummünzen zu müssen.

Fischer: Außerdem wird das Grundeinkommen natürlich nie so hoch sein, dass man sich alles leisten kann. Es soll nur ein Leben in Würde ermöglichen. Finanzielle Anreize für einen höheren Lebensstandard bestünden also weiter.

Soso. Wie viel sollte denn jeder bedingungslos in die Tasche gesteckt bekommen?

Fischer: Wir nennen keine konkreten Zahlen.

Warum nicht?

Fischer: Weil dann jeder auf dem jetzigen Niveau der Preise ausrechnen würde, was das für ihn selbst bedeutete, ob er damit auskäme, welcher Lebensstandard möglich wäre. Das ist aber zu konkret. Auch wir wissen nicht, wie sich Preise und Lohnniveau unter der Bedingung eines Grundeinkommens verändern würden. Derzeit versuchen wir, unsere Idee möglichst klar ins Gespräch zu bringen. Später werden Details zu diskutieren sein.

Liebermann: Das Grundeinkommen sollte so hoch wie möglich sein, das ist für uns die Formel. Wir sprechen hier nicht über eine irgendwie geartete Absicherung gegen Armut, sondern um eine genuin politische Forderung: die Ermöglichung von Freiheit. Einige würden sicherlich auf ein zusätzliches Erwerbseinkommen verzichten, weil sie das, was sie machen wollen, gar nicht auf dem Arbeitsmarkt verwirklichen können. Das ist doch heute schon der Lebensentwurf vieler Menschen. Denken Sie doch nur an Künstler oder auch an die schwierige Lage für Wissenschaftler.

Hinter Ihrer Forderung steht also auch ein privates Interesse?

Liebermann: Natürlich sind wir als Nachwuchswissenschaftler in der typischen Situation. Unsere Verträge laufen bald aus. Im Moment können wir nur hoffen, etwas Anderes zu finden. Aber die Lage an den Unis ist so schwierig, dass wir befürchten müssen, nicht mehr machen zu können, was uns interessiert. Mit dem Grundeinkommen dagegen könnten wir weiterforschen. Wir wären nicht mehr abhängig von der Universität, müssten aber auch nicht mehr irgendwelche Stellen annehmen, für die wir uns nicht interessieren.

Fischer: Ich würde gern unter den Bedingungen eines Grundeinkommens leben. Das würde mein Leben und das meiner Familie extrem erleichtern. Man würde den Anforderungen besser gerecht werden, nicht nur den Kindern, sondern auch unserer Forschung gegenüber.

Sie betonen immer wieder, dass gerade Kinder unter dem derzeitigen Zwang beider Eltern zur Erwerbsarbeit leiden.

Fischer: Ja, das ist so. Und das ist in anderen Ländern noch viel stärker zu beobachten. Es gibt haarsträubende Berichte etwa aus den Vereinigten Staaten, wo sich eine Arbeitskultur ausgebreitet hat, in der für Kinder gerade noch eine geblockte Stunde am Abend bleibt: die so genannte „quality time“. Das ist haarsträubend, schrecklich. Für Kinder kann das nicht förderlich sein.

Statt Arbeitszwang könnten also paradiesische Zustände herrschen. Schuld an der gegenwärtigen Misere sei ausgerechnet die Politik, kritisieren Sie. Die schaffe mit dem immer noch propagierten Ideal der Vollbeschäftigung erst das Problem, das sie zu lösen vorgebe. Warum?

Liebermann: Betrachten Sie doch nur die Slogans der Parteien der vergangenen Bundestagswahlen. Die CDU plakatierte „Sozial ist, was Arbeit schafft“, die SPD „Arbeitsplätze sind für uns die schönsten Plätze in Deutschland“. Die Grünen warben mit „Brüder, durch Sonne zur Arbeit“ für die Solarenergie, und selbst die Linke war mit „Arbeit soll das Land regieren“ dabei. Es ist doch geradezu bezeichnend, dass die Zugehörigkeit des Einzelnen zu einer Gesellschaft nur über die Arbeit definiert wird. Dabei geht es doch nicht mehr um die Leistung, die jemand erbringt, sondern allein um den Arbeitsplatz. Der Politik ist es völlig egal, was jemand macht, und wenn er die Blätter im Park zum Trocknen umdreht. Das macht auch die Sinnlosigkeit staatlicher Beschäftigungsprogramme aus. Der Begriff der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme kommt nicht von irgendwoher. Ein Irrsinn! Nur nebenbei: Freiheit ist kein Paradies, sondern eine Herausforderung.

Die Politik ist irrsinnig?

Liebermann: Die Politik kann sich von ihrem bornierten Arbeitsbegriff nicht lösen. Dahinter steckt auf der Linken wie auf der politischen Rechten – wenn man diese Bezeichnungen überhaupt noch verwenden will – das Gleiche: Man glaubt, der Einzelne könne nicht Bürger und vollwertiger Mensch sein, ohne einer Erwerbsarbeit nachzugehen.

„Es ist doch geradezu bezeichnend, dass die Zugehörigkeit des Einzelnen zu einer Gesellschaft immer nur über die Arbeit definiert wird“

Fischer: Das ist ja genau diese verkürzte Sicht der Dinge, die wir kritisieren. Wir wollen natürlich, dass die Leute Sinnvolles tun. Sinnvoll ist Arbeit aber nicht um ihrer selbst willen, sondern nur, wenn sie eben nicht von Maschinen ersetzt werden kann. Eine Tätigkeit, die eigentlich im Zuge der Automatisierung wegrationalisiert werden könnte, wird jeder Mensch als sinnlos betrachten. Das ist doch der Charme unseres Modells. Die Leute hätten endlich die Möglichkeit, Dinge zu tun, die sie für sinnvoll halten.

Welche?

Fischer: Das kann sich doch jeder selbst ausmalen! Denken Sie etwa an den familiären Bereich. Oder betrachten sie uns: Wir streiten politisch, ich bin Trainerin in einem Sportverein. Auch viele Künstler sind heute nur prekär abgesichert. Wir vertrauen darauf, dass die Menschen selbst wissen, was sinnvoll ist. Gerade wenn der Zwang zur Erwerbsarbeit wegfällt, kann sich jeder dort, wo er seine Neigungen und Interessen hat, engagieren.

Liebermann: Außerdem würde das bedingungslose Grundeinkommen für mehr Innovationen sorgen und unser Land so im Wettbewerb stärken.

Warum denn auch das noch?

Liebermann: Eben weil der Zwang zur Erwerbsarbeit wegfiele. In dem Moment, in dem sich Menschen freiwillig, ohne den Zwang, um jeden Preis Geld verdienen zu müssen, an ein Unternehmen binden, fühlen sie sich ihm viel stärker verpflichtet. Dann geben sie auch wirklich das Beste. Schließlich müssen sie nicht bleiben, sondern können jederzeit gehen. Das Gleiche gilt natürlich auch für Arbeitgeber. Auf soziale Belange müssten Unternehmen keine Rücksicht mehr nehmen. Beschäftigt werden würden nur die Besten, die mit großem persönlichen Engagement arbeiten. Und das würde natürlich die Wettbewerbsfähigkeit stärken. Denn innovativ ist natürlich nur derjenige, den seine Arbeit begeistert, der eigene Ideen einbringt, nicht derjenige, der zur Arbeit gezwungen wird und nur seinen Job macht.

Die Wirtschaft wird sich trotzdem bedanken. Irgendwer muss Ihr Grundeinkommen schließlich finanzieren.

Liebermann: Die Summe der sozialen Transferleistungen liegt derzeit bei rund 720 Milliarden Euro. Das ist doch eine irre Summe. Umgerechnet bedeutet das schon heute ein Grundeinkommen von rund 8.000 Euro im Jahr. Das ist doch schon nicht schlecht. Faktisch haben wir also schon ein Grundeinkommen. Dessen Verteilung aber ist über unsere Sozialbürokratie mit ihren Kontrollaufgaben, die Riesensummen verschlingt, wahnsinnig umständlich konstruiert. Diese bräuchten wir dann nicht mehr in der Form. Wenn die Staatsquote 48 Prozent beträgt, dann heißt das doch, dass schon heute fast jeder zweite Bürger vollkommen von Subventionen lebt. Gleichzeitig würde die radikale Automatisierung, die das Grundeinkommen ermöglichte, einen unglaublichen Produktivitätsschub auslösen. Die Finanzierungsproblematik stellt sich also gar nicht: Die Grundlagen für unser Modell sind doch heute schon vorhanden.