: Gute Turbulenzen
Großer Sprung: Die Bundeskulturstiftung stellte in Berlin den Tanzplan-vor-Ort vor, mit dessen Hilfe neun Städte neue Tanzprojekte fördern sollen
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Dadideldum, schau dich nur um, denn die Tanzlust geht um. Überall, in allen Städten, fängt sie schon die Kinder ein. Bis in unsere Universitäten, schwingt man bald das Tänzerbein.
Im Ernst: Ein großer Sprung vorwärts ist in der Tanzlandschaft der Bundesrepublik kein Traum mehr, sondern rückt in greifbare Nähe mit dem Tanzplan-vor-Ort, einem Förderinstrument der Kulturstiftung des Bundes (KSB). Am Donnerstag gab die Stiftung in Berlin die neun Städte bekannt, deren Vorschläge das Kuratorium für die Förderung ausgewählt hatte: Bremen, Dresden, Düsseldorf, Essen, Frankfurt, Hamburg, München und Potsdam, dazu ein Ausbildungsprojekt in Berlin. Die Förderung greift in jeder Stadt an einem anderen Punkt, der die lokalen Stärken ausnutzt und auf einen besonderen Bedarf reagiert. Diese Anpassung an die lokale Situation ist die Stärke und strukturelle Sensation des Programms.
Vor ungefähr einem Jahr wurden bundesweit Städte eingeladen, sich zusammen mit ihren Tanzakteuren vor Ort Projekte auszudenken, um vorhandene Strukturen weiterzubauen und mit mehr Schubkraft, mehr Sichtbarkeit, größer gedachten und schärfer konturierten Zielen zu versehen. Das ist in Zeiten, in denen der Tanz oft als erste Sparte zur Disposition steht, wenn Theater sparen müssen, ein Signal für ein kulturpolitisches Umdenken. Denn eine Voraussetzung für die Bewerbung um die fünf Jahre lang laufende Tanzplan-Förderung ist, dass die Städte mindestens die gleiche Summe zusagen (und damit das von der KSB bereitgestellte Fördervolumen von 6,5 Mio Euro verdoppeln) und danach das Projekt weitertragen. So brachte der Tanzplan schon in der Bewerbungsphase eine ungewöhnliche Bewegung in Kulturpolitik und Tanzszene, denn wenn die Städte an diesen Topf wollten, mussten sie überlegen, was ihnen der Tanz wert ist. Die KSB, die die Politik zu mehr Aufmerksamkeit für die Kultur erziehen möchte, hatte damit schon ein erstes Ziel erreicht. 14 Städte kamen in die engere Bewerbung.
Hortensia Völckers, Leiterin der KSB, hat mit der Tanzplan-vor-Ort-Konstruktion die Förderung des Tanzes für die Politik schmackhaft gemacht: Denn es scheint ein Modell, wie Bund, Länder und Kommunen gemeinsam Verantwortung übernehmen können, statt zu konkurrieren. Kein Zufall ist es, dass dies gerade dem zeitgenössischen Tanz nützt: In Institutionen oft das schwächste Glied der Kette, in Forschung und Hochschule gerade erst angedockt, bestehend aus einer großen freien, zersplitterten Szene, sind die Akteure schon aus Notwendigkeit auf Flexibilität trainiert.
Der Tanzplan-vor-Ort hat auch Modellcharakter, was Kooperationen und die Durchlässigkeit zwischen freien Produzenten, Initiativen und Kulturhochburgen betrifft. Das lässt sich hier nur grob skizzieren: Der Tanzplan Bremen etwa plant einen Austausch zwischen den Tanzcompagnien der norddeutschen Städte, damit dieses Ausschwärmen der Tänzer jedem Ort eine größere Vielfalt künstlerischer Handschriften ins Haus bringt. Bedingung für den Zuschlag in Bremen war, dass das Theater, selbst von Insolvenz bedroht, den Erhalt seines Tanztheaters zusagt. In Dresden wird mit dem Tanz Studio Dresden ein neues Ensemble für die Absolventen von Tanzhochschulen gegründet, getragen von der Palucca-Schule, der Semperoper und dem Europäischen Zentrum der Künste Hellerau, zu dem auch die Forsythe-Company gehört. In Düsseldorf und München geht es um die Arbeit mit Laien, in Schulen und sozialen Zentren; in Frankfurt um den Aufbau neuer Studiengänge für Choreografie und Tanzpädagogik; in Potsdam und Hamburg um Unterstützung von Choreografen, in Berlin um ein neues hochschulübergreifendes Ausbildungsprojekt.
Zu dem vierköpfigen Kuratorium, das die Auswahl traf, gehört die Choreografin Reinhild Hoffmann. Sie erinnerte sich noch einmal an die Zeit ihrer Ausbildung an der Folkwang-Schule Essen vor über dreißig Jahren, als für choreografische Proben die Räume der Schule nur nachts zur Verfügung standen. Unterstützung mit Probenräumen und Stipendien, wie sie jetzt in Hamburg und Potsdam möglich werden, oder das Sammeln von praktischen Erfahrungen, wie mit dem neuen Ensemble aus Dresden, blieben Jahrzehnte schwer erreichbar. Was der tanzplan in Bewegung gesetzt hat, ist kulturpolitisch eine Sensation, weniger durch die Höhe der Fördersumme, als durch die Motivation zur Kräftebündelung.
Die Pressekonferenz fand an einem netten Ort in Berlin statt, dem Ballhaus Mitte, kachelofenbeheizt, mit Papierlampions und Flitter an den Wänden. Die Journalisten kannten sich alle und waren für eine Entscheidung von bundesweiter Tragweite erstaunlich wenige – welche Redaktion leistet sich schon Leute für den Tanz? Das Thema Tanz wurde bislang nicht hoch gehandelt. Ich vermute, das wird sich ändern.