: ZwangsarbeiterInnen entschädigen
betr.: „Ein Erfolg trotz aller Mängel“, „Das Leid der Kriegsgefangenen“, taz vom 20. 1. 06
Ich freue mich, dass Ihr Artikel noch einmal das Thema NS-Zwangsarbeit und die Arbeit der Stiftung EVZ thematisiert. Aus meiner Sicht ist die positive Bewertung der Stiftungsarbeit insofern korrekt, als man nur begrüßen kann, dass es nach so langer Zeit überhaupt noch gelungen ist, eine große Anzahl von Zwangsarbeiter zu entschädigen, und das sogar noch mit einer – bescheidenen – Beteiligung der deutschen Industrie. Die Stiftung hat hier Wichtiges geleistet. Allerdings liegt dem Artikel, was die Perspektive der ehemaligen Zwangsarbeiter anbetrifft, eine folgenschwere Fehlinformation zugrunde:
10 bis 12 Millionen Menschen mussten damals Zwangsarbeit leisten. Laut dem „5. Bericht der Bundesregierung über den Stand der Auszahlungen …“ an den Bundestag vom 21. 7. 2005 (Drucksache 15/5936) haben davon insgesamt rund 2,46 Millionen Menschen Anträge auf Entschädigung gestellt. Von diesen wurden aber nicht, wie in der taz zu lesen, 18.000 abgelehnt, sondern 700.000! Jeder Dritte, der hochbetagt nach über 50 Jahren noch den Mut und die Kraft hatte, einen Antrag zu stellen, wurde abgelehnt!
Nun könnte man vermuten, dass eine Menge Anträge unberechtigterweise gestellt worden sind. Aus meiner persönlichen Erfahrungen mit ehemaligen NS-Zwangsarbeitern in Köln kann ich aber sagen, welche Fälle hier eher typisch sind:
Herr K. aus Polen hatte wegen fehlender Dokumente keinen Antrag gestellt, war 2005 in Köln und bekam auf Grund überzeugender Kenntnisse und mit Hilfe entsprechender Recherchen der Projektgruppe Messelager und der Historiker im NS-Dokumentations-Zentrum der Stadt Köln die notwendigen Belege. Trotzdem wurde er abgelehnt: Fristversäumnis. Frau C. aus Polen hatte fristgerecht einen Antrag gestellt beim Opferverband in ihrem Heimatort Pila. Nach einem Schlaganfall gelähmt, konnte sie die notwendigen Belege nicht mehr beschaffen. Ohne Entschädigung verstarb sie 2005: Fristversäumnis! Frau M., ebenfalls Polin, wurde zusammen mit ihren Geschwistern und den Eltern im Krieg nach Köln verschleppt. Die Geschwister, die heute in Polen leben, wurden entschädigt. Frau M. lebt heute in London, wo sie auch den Antrag stellte, und wurde abgelehnt. Für Antragsteller in Polen und in England gelten unterschiedliche Kriterien! Herr B. aus Deutschland, Sohn eines jüdischen Vaters, wurde innerhalb Deutschlands verschleppt und musste Zwangsarbeit leisten. Bei Deportation in ein anderes Land wäre entschädigt worden. Die Verschleppung von Herrn B. nennt sich „Dislozierung“ und wird nicht entschädigt!
Von den in der taz erwähnten Fällen der Kriegsgefangenen muss ich ja wohl nicht reden. Ich weiß, dass der Raum einer Tageszeitung begrenzt ist. Deshalb keine weiteren Beispiele, obwohl es noch viele gibt (gut dokumentiert in Köln). Jetzt generell einen positiven Schlussstrich zu ziehen und keine Anträge auf Entschädigung mehr zuzulassen bedeutet, viele Menschen, die schon vor 60 Jahren Opfer gewesen sind, erneut zu Opfern zu machen, diesmal zu Opfern eines „guten“ Gewissens. H. GEORG WEHNER, Leichlingen
Die 700.000 abgelehnten Anträge, auf die Herr Wehner verweist, betreffen Ansprüche, für die im Stiftungsgesetz selbst keine Grundlage bestand, also zum Beispiel Ansprüche sowjetischer Kriegsgefangener. Die von Stefan Reinecke erwähnten 18.000 Ablehnungen erfolgten durchwegs wegen Fristversäumnis. Wobei zu untersuchen wäre, ob der Antragssteller diese Säumnis zu verantworten hatten oder nicht. Eine Kritik an den 700.000 Ablehnungen müsste sich hingegen an den Bestimmungen des Stiftungsgesetzes festmachen und nicht an der Praxis der Partnerorganisationen, die über die Anträge entschieden. Den Partnern blieb in der Regel gar keine Wahl. Der Kreis der Anspruchsberechtigten wurde sogar nachträglich und mehrfach erweitert. taz