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Archiv-Artikel

Ein Recht auf Heimat?

RECHT Enteignungen vor dem Verfassungsgericht

KARLSRUHE taz | Ist Braunkohletagebau künftig möglich, wenn dafür Dörfer umgesiedelt werden müssen? Über diese Grundsatzfrage verhandelte am Dienstag der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts.

Konkret geht es um das Braunkohlegebiet Garzweiler II, das südlich von Düsseldorf liegt. Dort werden seit 2006 4.800 Hektar rund 200 Meter tief abgebaggert. Garzweiler II ist der zweitgrößte Tagebau in Europa, die geförderte Braunkohle liefert sechs Prozent der deutschen Stromproduktion.

Im Jahr 2017 erreichen die Bagger den Ort Immerrath. Dort bewohnt der Polizist Stephan Pütz mit seiner Frau ein Haus. Von den 1.200 Bewohnern sind schon 55 Prozent umgesiedelt, doch Pütz klagt gegen seine Enteignung. Zweiter Kläger ist der Umweltverein BUND, der nach der Genehmigung des Tagebaus 1998 ein Grundstück kaufte. Inzwischen ist die Wiese weggebaggert. Auch der BUND will erreichen, dass die Enteignung für verfassungswidrig erklärt wird.

Juristisch gibt es zwei Anknüpfungspunkte: das klassische Grundrecht auf Eigentum und ein umstrittenes „Recht auf Heimat“. Anwalt Dirk Teßmer, der beide Kläger vertrat, legte hierauf sogar seinen Schwerpunkt: „Viel wichtiger als das Eigentum ist es doch, wenn jemand seine gewohnte Umgebung, seine sozialen Bezüge verliert.“

Der Eingriff in dieses Recht sei schon deshalb nicht zu rechtfertigen, weil der Braunkohletagebau gar nicht erforderlich sei. „Auch ohne Braunkohle würden in Deutschland nicht die Lichter ausgehen“, sagte Teßmer. Wirtschaftsstaatssekretär Stefan Kapferer (FDP) verteidigte die Braunkohle dagegen als „heimischen“ Energieträger, der die Versorgung sichere, auch wenn kein Wind wehe und keine Sonne scheine.

Vermutlich werden die Richter den Tagebaubetroffenen deutlich mehr Rechte als bisher einräumen: Voraussichtlich müssen ihre Interessen bei der Genehmigung neuer Tagebaue künftig stärker gewichtet und ihre Klagemöglichkeiten verbessert werden. Auch mehr Fürsorge bei der Umsiedlung dürften die Richter anmahnen.

Das Urteil wird in einigen Monaten verkündet. CHRISTIAN RATH