Neue Abschaffels

Eine Tagung im Literaturhaus in Berlin befasste sich mit der „Literarischen Kritik der ökonomischen Kultur“

In den Bücherregalen zu Hause sieht es so aus: Im Arbeitszimmer und im Flur die schöngeistige Literatur, Romane und Lyrik, im Schlafzimmer dagegen, weiter hinten in meiner Wohnung, stehen volkswirtschaftliche Bücher, Mikro- und Makroökonomik etc., und oft sehen die Bücher dort fast vernachlässigt aus in ihrem Winkel. Zu Hause sind die Verhältnisse noch klar.

Was aber, wenn die Trennung in unseren Bücherregalen gar nicht mehr zeitgemäß wäre? Wenn Literatur und wirtschaftliche Bücher nebeneinander zu stehen hätten, ja, wenn es innerhalb der literarischen Werke um ökonomische Sachverhalte ginge, die Ökonomie längst Einzug in die Literatur gehalten hätte? Um Fragen wie diese ging es am Wochenende im Literaturhaus in Berlin, das Zentrum für Literaturforschung hatte zu der Veranstaltung „Literarische Kritik der ökonomischen Kultur“ eingeladen. In Lesungen und Podiumsdiskussionen wurde, ausgehend von der Diagnose einer „Rückkehr der Ökonomie in die Literatur der Gegenwart“, diesem neuen literarische Interesse an Wirtschaft und Arbeitswelt auf den Grund gegangen.

Die junge Berliner Autorin Kathrin Röggla etwa las Passagen aus ihrem Roman „Wir schlafen nicht“ (2004), in dem sie verschiedene Stimmen aus der Arbeitswelt zu einer Art Collage kombiniert – Stimmen von Key-Account-Managerinnen, Unternehmensberatern und Praktikanten, die sich alle ausschließlich über ihre Arbeit definieren: „ja, das schwierigste sei das runterkommen. er habe das immer wieder festgestellt. die streßsituationen allein seien es nicht. es sei mehr das runterkommen, das dann so anstrengend sei.“

Wie diese Passage sind auch alle anderen in „Wir schlafen nicht“ konsequent in indirekter Rede gehalten – Kathrin Röggla hat für ihren Roman Interviews geführt und die Aussagen ihrer Gesprächspartner dann durch die indirekte Rede verfremdet. Damit betont sie nun zwar deren Authentizität – aber sie entlarvt auch die Formelhaftigkeit der verwendeten Sprachmuster. Die indirekte Rede ihres Romans weist nicht zuletzt auch immer wieder auf den Kunstcharakter des literarischen Textes hin.

So wie Röggla die Eigenarten der „Arbeitswelt“ entlarvt, wird schnell klar, dass diese Arbeitswelt einerseits eine fremde Welt ist, der man sich als Schriftsteller wie als Leser nicht gerade zugehörig fühlt. Wenn allerdings diese Eigenarten dazu immer auch als sprachliche Eigenarten gekennzeichnet werden, ist damit andererseits das spezifische Interesse begründet, das die Literatur an einer solchen fremden Arbeitswelt haben kann.

Anders als die Angestelltenliteratur der Weimarer Republik mit ihren Protagonisten, die einfache Buchhalter oder Sekretärinnen waren, anders auch als die „sozial motivierte“ Literatur der Arbeitswelt, wie es sie in den Siebzigerjahren gab, befasst sich die gegenwärtige junge Literatur eher mit hochqualifizierten und gut bezahlten Vertretern einer zeitgemäß technisierten und auf Effizienz ausgerichteten Dienstleistungsbranche. Die IT-Supporter und Key-Account-Managerinnen bei Röggla, die Werber bei Rainer Merkel, die „Insassen“ eines Großraumbüros bei Anne Weber – sie alle beschäftigen sich in ihrem Arbeitsalltag mit Dingen, die uns im Einzelnen zwar fremd bleiben, deren Notwendigkeit uns aber in den letzten Jahren oft genug bewusst gemacht worden ist.

Dass die Zwänge der Ökonomie trotzdem Zwänge bleiben und dass die Möglichkeiten, die sie vielleicht eine Weile lang geboten haben mögen, rascher als noch vor einiger Zeit gedacht an ihre Grenzen stoßen können, das zeigt wiederum ein Autor wie Moritz Rinke, dessen neuestes Stück „Café Umberto“ im Foyer einer Agentur für Arbeit spielt. Rund um die einzige erfolgreiche Ich-AG dieser Agentur – eben das Café Umberto, das ein Arbeitsloser im Foyer eröffnet hat – erzählt Rinke Geschichten um Liebe und Arbeit, in denen der Unterschied zwischen „Arbeit haben“ und „keine Arbeit haben“ eine Fallhöhe bezeichnet, die nicht nur für das Stück, sondern für unsere gesamte Gesellschaft charakteristisch ist.

Bezeichnenderweise stellten auf einer abendlichen Podiumsdiskussion mehrere Schriftsteller unisono fest, sie hätten schon lange den Leistungsdruck der Wirtschaft verinnerlicht. So weit sogar, dass laut Rainer Merkel „die Selbstbeauftragungsmechanismen, denen man als Autor immer unterliegt, im eigenen Bewusstsein tatsächlich die Hierarchien eines Unternehmens reproduzieren“. Das „Hochleistungs- und Effizienzdenken“ habe inzwischen auch den literarischen Betrieb erfasst – schließlich würden Schriftsteller längst wie Marken gehandelt. Trotzdem: Ihre Literatur wollten die Autoren in Berlin bewusst als ambivalenten Gegenentwurf zu dieser Ökonomisierung verstanden wissen – auch und gerade dort, wo sie sich mit Themen und Fragen aus der Wirtschaft beschäftigt. Und damit rechtfertigen sie zumindest auch noch die Trennung unserer Bücherregale: Einstweilen lassen wir es dabei.

ANNE KRAUME