Kunstrundgang : Brigitte Werneburg schaut sich in den Galerien von Berlin um
Merkwürdige schwarz-graue Farb- oder Schmutzspuren, so genau ist das auf den ersten Blick nicht zu sagen, ziehen sich auf dem hellem Grund der Serie großer Diasecs hin, die bei Amerika zu sehen sind. Sie bilden ein abstraktes Muster, das dennoch vertraut wirkt. Und tatsächlich, bei genauem Hinschauen wird dann klar, dieses Muster entstammt dem Alltag. Bei den neuen Fotografien von Viktoria Bintschok handelt es sich um vertrackte Stillleben, die ebenso als Straßenfotografie gelten könnten wie die vorangegangene Serie, die den Louis-Vuitton-Taschen im Stadtbild von Manhattan nachforschte. Denn auch die neue Serie entstand im öffentlichen Raum. Genauer gesagt, in der Agentur für Arbeit in Neukölln. Dort hat sich Viktoria Binschtok in das Kollektiv der Wartenden eingereiht. Doch nicht das fiel ihr so sehr auf als vielmehr die Spuren der Abnutzung, die eine stetig wachsende „Bedarfsgemeinschaft“, wie man heute sagt, dort in Gängen und an Wänden hinterlässt. Außerhalb der Geschäftszeiten, in den nun leeren Gängen, hielt Bintschok diese Schleifspuren, den materiellen, tatsächlich dreckigen Niederschlag der Tätigkeit des Wartens fest. Selten wurde so diskret und zugleich so direkt dem Dilemma der Arbeitslosigkeit fotografisch auf den Grund gegangen.
Die Sensibilität der Fotografien öffnet geradezu den Raum für die verführerische Bedrohlichkeit der Skulpturen, die Fabian Reimann aus billigem Brennholz zusammengehauen hat. Das Erzeugen von Furcht, die Inszenierung von Einschüchterung und das labile Gleichgewicht scheinbar vertrauter Koordinaten sind Thema des Schülers von Heimo Zobernigg in Wien: Die Paranoia also, die sich für Reimann in den Zeiten der „Homeland Security-Fragen“ entwickelt. Reimann provoziert das spontane Erschrecken über den erzeugten Schrecken.