: „Es steht nicht in den Schulbüchern“
VERGANGENHEITSVERDRÄNGUNG Ein Gespräch mit dem japanischen Regisseur Koji Wakamatsu über seinen Wettbewerbsfilm „Caterpillar“ und die Leugnung von Kriegsverbrechen in Japan
■ Geboren am 1. April 1936 in Wakuya/Japan. Seit 1959 arbeitete er für das Fernsehen, für das er Softcore-Filme (sogenannte Pink Eigas) produzierte.
■ Mit seinem Film „Secret Behind the Wall“ war er im Jahr 1965 zum ersten Mal auf der Berlinale vertreten. Zu diesem Zeitpunkt war der Film in Japan unter Verschluss. Trotz des Erfolgs in Berlin konnte in Japan nur eine zensierte Version laufen.
■ Wakamatsu wandte sich vom Fernsehen ab und gründete 1965 eine eigene Produktionsfirma. Unter anderem produzierte er Nagisa Oshimas Film „Im Reich der Sinne“ (1976). In seinem Film „United Red Army“, der 2008 im Forums-Programm lief, beschäftigt er sich mit der Selbstzerfleischung der radikalen japanischen Linken.
INTERVIEW CRISTINA NORD
taz: Herr Wakamatsu, vor zwei Jahren zeigten Sie im Forum einen Spielfilm über den Selbstzerfleischungsprozess der United Red Army, einer linksterroristischen Gruppe im Japan der 70er-Jahre. In „Caterpillar“, Ihrem Beitrag zum diesjährigen Wettbewerb, erzählen Sie von einem Weltkriegsveteranen, der hochdekoriert, aber verstümmelt in sein Dorf zurückkehrt. Wie finden Sie zu Ihren Stoffen?
Koji Wakamatsu: Ursprünglich wollte ich „United Red Army“ und „Caterpillar“ als einen Film drehen. Denn als ich über die Mitglieder der United Red Army nachdachte, stellte ich mir die Frage: Warum wurden diese Menschen so, wie sie sind? Warum haben Sie diese radikalen Ideen? Und der Grund liegt in dem, was ihre Eltern im Zweiten Weltkrieg erlebt haben. Ich dachte: Eigentlich sollte ich bis zu den Anfängen, also zur Elterngeneration zurückgehen. Nur wäre dieser Film sehr lang geworden, und dafür hätte ich keinen Produzenten gefunden.
In Deutschland existiert eine ähnliche Hypothese: Die Militanz der RAF geht darauf zurück, dass die Elterngeneration in den Nationalsozialismus verstrickt war.
Ja, da gibt es eine Parallele. Die Allianz der faschistischen Länder Italien, Deutschland und Japan führte zu diesen radikalen linken Ideen; alle drei Länder hatten eine Rote Armee. Ich selbst habe als Kind erlebt, was ich in „Caterpillar“ zeige: Meine Mutter versuchte, sich um alles zu kümmern, während mein Vater fort war. Es gab nicht genug zu essen. Ich habe meine Mutter nicht anders als leidend kennengelernt. Mehr als sechzig Jahre sind seit dem Zweiten Weltkrieg vergangen, und in Japan ist man im Begriff zu vergessen, was dieser Krieg angerichtet hat; stattdessen wird über Wiederbewaffnung nachgedacht. In den deutschen Schulen wird gelehrt, was die Nazis verbrochen haben. In Japan wird nach wie vor versucht zu verbergen, dass Kriegsverbrechen begangen wurden. Es steht nicht in den Schulbüchern. Noch heute wird der Krieg idealisiert, zum Beispiel die Kamikaze-Piloten und die Kamaraderie unter den Soldaten. Aber es gibt keine Kamaraderie! Der Krieg hat nichts Schönes!
Am Anfang des Films stellen Sie ein Kriegsverbrechen nach: Japanische Soldaten vergewaltigen chinesische Frauen. Darüber wird in Japan nie geredet?
Es wird geleugnet. Japan wollte aus der Mandschurei ein zweites Japan machen; Japan hat in Nanking ein Massaker verübt. All das wird zwar mal hier und dort erwähnt, aber nicht wirklich diskutiert. Japan sollte endlich zugeben, dass es Kriegsverbrechen begangen hat.
Die sexuelle Gewalt spielt in „Caterpillar“ eine große Rolle. Zunächst einmal, weil Sie die Vergewaltigung der Chinesinnen zeigen, dann aber auch, weil sexuelle Gewalttätigkeit das Verhältnis zwischen dem verstümmelten Veteranen und seiner Ehefrau prägt. Warum ist Ihnen das so wichtig?
Erobern und Kriegführen bedeuten in Japan, dass die Frauen der Gegner vergewaltigt werden. In China und anderswo in Asien haben japanische Soldaten Frauen zu Sexsklavinnen gemacht; das wird total verdrängt. Deswegen sollte es im Film vorkommen: damit über die Kriegsverbrechen aufgeklärt wird.
Und die sexuelle Gewalt im Verhältnis der Eheleute?
Vor dem Krieg war es in Japan so, dass die Männer die Frauen dominierten. Frauen galten als Sex- und Reproduktionsmaschinen. So wurde über Frauen gedacht. Wenn man die Beziehung zwischen Menschen beschreiben will, kommt man um die Grundbedürfnisse nicht herum: essen, schlafen, Sex haben. Ich hätte den Film also ohne diese drei Dinge überhaupt nicht machen können.
Es gibt dabei aber etwas Verstörendes: Einerseits legen Sie die entsprechenden Szenen so an, dass die Gewalttätigkeit klar zum Vorschein kommt. Andererseits können diese Szenen einen sadistischen Blick bedienen. Sehen Sie diese Ambivalenz?
Es ist doch sehr geradeheraus, sehr einfach: Füg jemand anderem nichts zu, was der nicht will. Zwing ihn nicht. Im Film übt ja nicht nur der Mann Gewalt aus, sondern auch die Frau. Wenn sie sich auf ihn setzt und er keine Erektion bekommt, dann projiziert er sich unwillentlich in sie hinein. Er hat Flashbacks und sieht sich selbst, während er die Chinesin vergewaltigt. In ihm baut sich ein enormes Schuldgefühl auf. Ich will, dass man das als etwas Furchtbares wahrnimmt, nicht als etwas, was Lust bereitet.