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Archiv-Artikel

„Die CDU schlachtete Oettingers Pferd“

Baden-Württembergs grüner Spitzenkandidat Winfried Kretschmann sieht seine Partei nach dem Rücktritt von CDU-Minister Renner im Aufwind: „Ministerpräsident Oettingers Versuch ist gescheitert, in die großstädtischen Milieus einzudringen“

INTERVIEW PETER UNFRIED

taz: Herr Kretschmann, Sie halten den Muslim-Test für verfassungswidrig. Die darin eingeforderten Positionen sind für CDU-Verhältnisse doch immerhin fortschrittlich?

Winfried Kretschmann: Wenn Oettinger seinen Leuten diese Fragen stellen würde, wären einige akut ausbürgerungsgefährdet. Das zeigt, dass dahinter keine klare Linie steckt und schon gar keine Kursänderung Richtung Modernität oder Liberalität. Bei Oettinger ist alles nur taktisch motiviert, das ist seine große Schwäche. Es geht immer nur um die Frage: Was ist gut für die Landtagswahl?

Sie haben im Gegensatz zur SPD nicht den Rücktritt von Sozialminister Andreas Renner gefordert. Wie bewerten die Grünen, dass einer gehen muss, weil der Bischof beleidigt ist – Affäre oder Posse?

Wir haben eine Trennung von Staat und Kirche. Der Zölibat ist eine rein innerkirchliche Angelegenheit und geht den Minister schlichtweg nichts an. Wenn er den Bischof auch noch richtig anmacht, geht das nicht. Aber dass es jetzt hochkommt, zeigt, dass es über den Anlass hinaus einen Richtungskampf zwischen Modernisierern und Traditionalisten innerhalb der CDU gibt.

Renners angebliche Replik war: „Halten Sie sich da raus. Fangen Sie erst einmal an, Kinder zu zeugen.“ Das bezog sich auf Kritik an Renners Unterstützung einer schwul-lesbischen Veranstaltung. Was geht das den Bischof an?

Die Kirche kann sich zu allen gesellschaftlichen Fragen äußern, das ist in Ordnung. Es ist normal, dass man über alles redet, das war ja kein öffentlicher Disput.

Der Bischof hat den fortschrittlichen Minister aus Amt und Regierung exorziert?

Das halte ich für eine Fehlinterpretation. Renner ist über die Klinge gesprungen, weil man ihn zum jetzigen Zeitpunkt beschädigen wollte. Die Traditionsbataillone in der CDU haben ihn weggeputzt, weil sie Angst hatten, durch dessen liberale Positionen, zum Beispiel gegenüber Homosexuellen, konservative Wähler zu verlieren.

Ist die Landbevölkerung so rückständig, wie die Traditionalisten in der CDU behaupten?

Ein Teil der CDU-Politiker glaubt, dass die Menschen so rückständig seien. Das stimmt aber nicht, auch nicht für Oberschwaben, wo ich herkomme. Das ist Selbsttäuschung über die eigene Wählerschaft.

Führt die CDU einen Wahlkampf mit sich selbst, weil die Konkurrenz so schwach ist, dass ihr nichts passieren kann?

Nein. Zumindest wir sind nicht schwach. Es gehört zur Tradition des Landes, dass jeder meint, die CDU habe eine strukturelle Mehrheit und könne sich alles erlauben. Das ist ein Irrtum.

Ach ja?

Der Abgang von Renner wird unsere Wähler mobilisieren. Die Zerrissenheit in der CDU zwischen dem vermeintlichen Traditionalismus auf dem Land und den urbanen Lebensmilieus ist zu groß. Oettingers Versuch ist gescheitert, beides zusammenzuführen und in die großstädtischen Milieus einzudringen.

Mit dem Symbol Renner.

Ja. Die CDU hat Oettingers progressives Vorzeigepferd selbst geschlachtet.

Werden Sie Renner anbieten, zu den Grünen zu wechseln?

Nein.

Warum nicht?

Das macht man einfach nicht.

Wenn die CDU endgültig nicht mehr Stadt und Land verbinden kann, macht das Schwarz-Grün umso nötiger?

Erst mal wird uns die Situation stärken. Wenn wir stärker werden und drittstärkste Kraft, erst dann wandern schwarz-grüne Überlegungen aus dem Sandkasten in den Lichtkegel der Realität. Jetzt wird nicht gespielt, sondern gekämpft.