: Radiohören in Kriegszeiten
THEATER Die Ohnmacht im Infinitiv und zugeben, dass es nichts gibt, was man tun kann. Das HAU widmet der libanesisch-amerikanischen Schriftstellerin Etel Adnan ein Festival
VON JANNIS HAGMANN
Als die ersten Bomben fallen, sitzt sie vor dem Radiogerät. Macht sich einen Kaffee mit Milch. Dreht das Radio lauter, steht auf, durchstreift den Raum. Kehrt zurück, setzt sich. Der Krieg ist fern.
Doch nicht Gleichgültigkeit, nein, Ohnmacht ist es, was Etel Adnan verspürt, als 2003 der Krieg gegen den Irak beginnt. Für die libanesisch-amerikanische Schriftstellerin, die vor Jahrzehnten den Nahen Osten verlassen hat und die Invasion aus ihrer kalifornischen Wahlheimat verfolgt, ist er eine persönliche Niederlage: „Zugeben, dass es nichts gibt, was man tun kann“, schreibt sie in einem Text aus aneinandergereihten Infinitiven im Jahr 2003. „Die Pflanzen gießen. Den Gartenschlauch einrollen. Wieder ausrollen. Die Pflanzen weiter gießen“ – Alltag in Zeiten von George W. Bushs „Krieg gegen den Terror“.
Das Festival „Den eigenen Blick unbewohnbar machen“ bringt Theater, Konzerte und Diskussionen rund um die 1925 in Beirut geborene Schriftstellerin, Dichterin und Malerin Etel Adnan auf die Bühne im Hebbel am Ufer (HAU). Ihr Text zur Irak-Invasion „In einer Kriegszeit leben“ ist der Ausgangspunkt der Kernproduktion des Festivals, des Theaterstücks „Dreizehn Drei Dreizehn“ von Corinna Harfouch und Frank Raddatz.
Der Saal des HAU ist bis auf den letzten Platz gefüllt, als am Donnerstagabend die ersten Sätze aus Adnans Text ertönen. Nach wenigen Infinitiven verstummt die Vorleserin. Auf der Bühne werden Häuser gebaut, abgerissen, umgebaut, Hektik, Unruhe, Effizienz, Fortschritt. Eine Videoinstallation lässt das 20. Jahrhundert Revue passieren: ein Zeppelin, Picasso, ein Flieger, Frankenstein, Dalí, Guernica, Rosinenbomber. Viele Symbole, keine Handlung. Und immer wieder Krieg.
Arbeiter bewegen sich im simultanen Gleichschritt. Zahnräder greifen ineinander. Man fühlt sich in Fritz Langs „Metropolis“ zurückversetzt: in eine junge westliche Moderne, eine Gesellschaft, ergriffen vom industriellen Fortschritt.
„Dreizehn Drei Dreizehn“ spielt auf die Jahreszahlen 2013, 2003, 1913 an. Im Begleitheft zum Stück heißt es: „1913 eröffnen Henry Fords Fließbänder ein Jahrhundert der Effizienz, das sich zu unserem digitalen Heute beschleunigt.“ Doch was hat der Fordismus mit Adnan zu tun, was ist der rote Faden zwischen Fords Fließbändern und dem Irakkrieg 2003? Warum das 20. Jahrhundert? Warum der Rückblick?
Diese Fragen bleiben seltsam unbeantwortet. Ist es den Machern entgangen, dass der moderne Krieg seine Erscheinungsform grundlegend verändert hat? Dass die Massenmobilisierungen des 20. Jahrhunderts als Fundament des Krieges ausgedient haben? Längst hat sich die Überlegenheit vom Schlachtfeld nicht nur in die Beherrschung des Luftraums verlagert, sondern ebenso in die der medialen Präsentation des Krieges. Von Afghanistan über den Irak bis nach Libyen: der klassische Staatenkrieg mit seiner Rekrutierung der Massen, wie er bis ins 20. Jahrhundert vorherrschte, gehört der Vergangenheit an.
Adnan selbst weist auf die neue, asymmetrische Erscheinungsform von Kriegen hin, ja macht sie zum eigentlichen Thema ihres Textes. Sie klagt die Medialisierung des Krieges an, diagnostiziert die Abkoppelung von Information und eigenem Erfahren als Charakteristikum unserer Zeit: „Den Kaffee mit Milch mixen, die Hitze spüren, die Tasse an dem Mund heranführen, trinken, nochmal trinken, Hausarbeit machen, aufstehen und zur Küche gehen, zurückkommen und das Radio aufdrehen, lauter machen, hören, dass der Krieg im Irak begonnen hat.“
Langeweile, Untätigkeit und Ohnmacht sind es, die die Schriftstellerin, während sie den Krieg oder dessen mediale Inszenierung verfolgt, in ihren Zeilen zum Ausdruck bringt. Ohnmacht, weil der allmächtige Alltag, die banale Normalität des Lebens in der westlichen Gesellschaft sie von den amerikanischen Bomben auf Bagdad trennt. Ihre verbleibende Brücke in die Region ihrer Kindheit sind die Medien.
Letztlich ist es die perverse Friedlichkeit des Medienkonsums in Kriegszeiten, die Etel Adnan thematisiert. Das Bühnenstück jedoch spart sie weitestgehend aus und lässt die Zuschauer stattdessen an einer Revue des 20. Jahrhunderts teilhaben – nicht am Neuen des Krieges im 21. Jahrhundert, sondern am Nicht-mehr. Ein nach vorn blickender Text, rückwärts blickend inszeniert. Und die Verbindung zum digitalen Heute, die im Begleitheft angekündigt wird? Sie fehlt.
■ „Den eigenen Blick unbewohnbar machen“ noch bis Sonntag im HAU, u. a. mit „Dreizehn Drei Dreizehn“, Sa., 21 Uhr + So., 17 Uhr