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Archiv-Artikel

„Wenn das der alte Kaiser wüsste“

Die Katholische Kirche hat bildungspolitisch das Zentrum im protestantischen Bremen besetzt: Nachdem der Staat das Alte Gymnasium aus der Dechanatstraße verdrängt hat, ist das Katholische Gymnasium das einzige im Schatten des Doms

Bremen taz ■ Die Katholische Kirche hat in eine „wertorientierte Bildung“ investiert – und zeigt Präsenz an Bremens prominenter Stelle. Das ehemalige Postamt I an der Domsheide ist zum katholischen Gymnasium umgestaltet worden. Gestern bezogen die Schüler des Gymnasialzweiges der St-Johannis-Schule ihre neuen Klassenräume.

Die Abschaffung der Orientierungsstufe und die anstehende Verkürzung der Schulzeit waren für die Kirche der Anlass, ihr Angebot um eine gymnasiale Oberstufe zu erweitern. Bisher wurden in der Dechanatstraße nur Schüler bis zur zehnten Klasse unterrichtet. Danach mussten sie auf Schulen anderer Träger wechseln. Jetzt setzen die Katholiken auf Tempo: Bereits 2008 wird der erste Jahrgang nach der zwölften Klasse Abitur machen, vier Jahre vor den Schülern staatlicher Schulen.

„Wenn das der alte Kaiser wüsste, dass sich jetzt die Katholen in seiner Bude breitmachen“, witzelt Wilhelm Tacke, Sprecher des Gemeindeverbandes. Katholiken-Hasser Wilhelm I. betrieb einst in den Räumlichkeiten die kaiserliche Post. Kapitelle und Rippenbögen im Inneren des Gründerzeit-Baus sind bei der Renovierung freigelegt worden. Die Lehrer werden künftig in einem Jugendstil-Kabinett unter den Augen sich lasziv tummelnder Kentauren und Nixen konferieren. Mediterranes Flair bringt der Dachterrassen-Schulhof in die City. Designer-Sitzecken in Eiscremefarben fügen sich in die historistische Architektur.

„Die zentrale Lage ist unverzichtbar“, sagt Propst Ansgar Lüttel. Denn „Einzugsbereich der Schule ist die ganze Stadt.“ Sieben Millionen Euro hat der Umbau gekosten, es gab keinen Zuschuss des Bildungssenators, die Kirche musste alles allein finanzieren: 4,3 Millionen übernahm das Bistum, 1,5 Millionen das Bonifatiuswerk, das für die katholische Minderheit in Nord- und Osteuropa Spenden eintreibt, den Rest der Gemeindeverband selbst. Das im vergangenen Jahr geschlossene Konkordat mit dem Vatikan brachte immerhin einige Ermäßigungen seitens der Stadt, etwa bei den Baugenehmigungskosten. Bis zu 70 Prozent der pro Schüler anfallenden Kosten schießt der Bildungssenator zu, den Rest trägt die Kirche. Elternspenden sind willkommen, aber keine Pflicht.

Hendrik Igelmann, Schülersprecher der St.-Johannis-Schule, kämpft manchmal gegen ein Imageproblem. Was Kollegen von anderen Schulen mit dem Vorurteil „fromm“ belegen, würde er anders beschreiben: „Unsere Schule ist gewaltfrei. Die Bereitschaft zu reden ist bei Schülern und bei Lehrern groß.“ Sicher, der Religionsunterricht kann nicht abgewählt werden. Der „ökumenische“ Unterricht auf „katholischer“ Glaubensgrundlage, wie Wilhelm Tacke differenziert, ist auch für andersgläubige Schüler verpflichtend.

72 Prozent der Schüler an den fünf katholischen Grundschulen und der St.-Johannis-Schule sind katholisch. Eine konfessionelle Quote gibt es nicht. „Wir hatten rund 200 InteressentInnen für den ersten Oberstufenjahrgang – weit mehr, als wir aufnehmen können“, sagt Schulleiterin Anette Kieslich. Vorrang haben Schüler, die bereits eine katholische Schule besuchen. Die Konfession ist danach das zweite Auswahl-Kritierium. Ein weiteres Spezifikum: In Gymnasialklassen kommen nur SchülerInnen mit Gy-Empfehlung der Grundschule.

Als Eliteschule will Anette Kieslich ihr Gymnasium aber keinesfalls sehen. „Rund die Hälfte unserer Schüler kommen aus Migrantenfamilien. Da geht es viel mehr um Integration.“

Annedore Beelte