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Archiv-Artikel

Typen der modernen Jugend

ALLTAGSDRAMEN Eine Hommage an den japanischen Altmeister Shimazu Yasujiro (Forum)

Die Schauspielerinnen tragen leichte Kleider mit Blumenmustern. Irgendwann fällt ein schöner Satz

VON DETLEF KUHLBRODT

Fast jedes Jahr zaubert das Internationale Forum des jungen Films einen neuen Altmeister des japanischen Kinos aus dem Hut: 2006 Nakagawa Nobuo, 2007 Okamoto Kihachi und 2008 Wakamatsu Koji, dessen „Caterpillar“ diesmal im Wettbewerb für Verstörung sorgte. In diesem Jahr ehrt man Shimazu Yasujiro (1897–1945) mit einer aus drei von 1937 bis 1938 entstandenen Filmen bestehenden Mini-Hommage, die notgedrungen nur einen kleinen Eindruck seines Gesamtwerks vermittelt, das lange Zeit als fast verloren galt.

Wie Ozu, Naruse und Mizogichi gilt auch Shimazu als Meister und Miterfinder der Alltagsdramen, der sogenannten „Shomin-geki“. In den Zwanziger- und Dreißigerjahren gehörte er zu den Regisseuren, die für die Firma Shochiku arbeiteten und dort einen realitätsnahen, oft auch sozialkritischen, „Kamata“ genannten Stil entwickelten. In den Shochiku-Studios wurde viel Geduld darauf verwandt, den hinreißenden Darstellerinnen beizubringen, sich vor der Kamera wohlzufühlen und ihre gewinnenden Qualitäten auf natürliche Weise einzusetzen. Für unerfahrene Schauspieler, denen es schwerfiel, Gefühle mit ihrem ganzen Körper auszudrücken, änderte Shimazu die Einstellungsgröße und beschränkte sich auf Ausschnitte. „Shimazus letzter Assistent Nakamura Noburo wiederum machte seinen Schauspielerinnen zu Beginn der Dreharbeiten Komplimente über ihre Garderobe“, berichtet Sato Tadao im Katalog des Internationalen Filmfestivals Tokio, 2009. Gelegentlich sei der Regisseur allerdings auch wütend geworden. Dann pflegte er aber nicht die Schauspieler zu schlagen, sondern seine Regieassistenten.

Formal seien die Filme nahe an Hollywood und dessen analytischer Montage, wie der Japanologe Lukas Foerster in seinem kompetenten Berlinale-Blog schreibt. Vor allem erinnern sie an die großen, oft auch architektonischen Versprechen einer längst vergangenen Moderne, die vor allem die des Westens ist.

In dem wunderschönen Jugenddrama „Lights of Asakusa“ wird eine von Boccaccio inspirierte Oper aufgeführt; einer der Helden heißt tatsächlich „Po Kacho“, die Gangster in dem Film treffen sich in der „Toskana-Bar“, der Held sieht aus wie ein Cowboy und auf der Bühne wird Cancan getanzt. In dem tollen Melodram „So goes my love“ spielt jemand Bach auf der Flöte und die Helden schauen sich Leni Riefenstahls „Triumph des Willens“ im Kino an. Die warmherzige Komödie „The trio’s engagement“ spielt in einer Zeit großer Arbeitslosigkeit. Drei junge Männer finden Arbeit in einem großen Geschäft für Anziehsachen. Sie verlieben sich in die Tochter des Fabrikdirektors und rivalisieren um deren Gunst. Dummerweise haben alle drei schon eine Verlobte. Es gibt auch einige schöne slapstickhafte Szenen. Shimazu hat in diesem Film versucht, drei Typen der modernen Jugend abzubilden: die aus der Vorstadt, die aus dem Stadtzentrum, die vom Lande.

„The Lights of Asakusa“ spielt in einem teils am Frankreich des späten neunzehnten Jahrhunderts orientierten Bohème-Milieu im Vergnügungsviertel Asakusa. Die Oper gilt noch als sündig, ist aber eigentlich eine Operette. Reiko, eine schöne Tänzerin, wird gedrängt, die Geliebte eines fiesen Stahlmagnaten zu werden. Sie liebt aber einen anderen, recht amerikanisch wirkenden Helden. Ihre Künstlerfreunde verstecken sie vor den Nachstellungen des alten Lüstlings. Sehr schön ist auch eine Szene, in der der Held damit droht, sich den Finger abzuhacken, sollte sich eine andere Heldin nicht wieder mit ihrem Mann vertragen.

„So goes my love“ schließlich erzählt von einem erfolglosen Schriftsteller, der unverheiratet mit seiner Freundin in einem modernen kleinen Appartement zusammenlebt. Die in dem Film thematisierten Probleme des Autors sind durchaus zeitlos. Er sagt zu ihr: „Du solltest mich verlassen, weil ich ein Versager bin.“ Seine Eltern sind auch gegen diese Verbindung. Auf der Seite des Paares engagiert sich die jüngere Schwester des Schriftstellers und versucht ihre Eltern zur Vernunft zu bringen. Der Onkel greift ein und überzeugt die Freundin, den Dichter zu verlassen. Die Schauspielerinnen tragen leichte Kleider mit Blumenmustern. Irgendwann fällt der schöne Satz „Such cruelty can’t please me“. Nach allerlei Konflikten zwischen alten und neuen Wertevorstellungen gibt es ein Happy-End. Der Held fragt seine weinende Freundin am Telefon „Are you crying?“ Sie antwortet „No. I’m smiling.“

■ Termine unter www.berlinale.de