: Heftige Gefechte in Bengasi
LIBYEN Im Osten des Landes eskaliert der Machtkampf zwischen den Religiösen und den Moderaten. Er fordert zahlreiche Tote und Verletzte
AUS TRIPOLIS MIRCO KEILBERTH
Die Ereignisse im Stadtteil al-Kewefya in Bengasi von Samstagabend erinnern an den Beginn der libyschen Revolution vor über zwei Jahren. Mit einem friedlichen Sit-in forderten jugendliche Demonstranten den Abzug von bewaffneten Kräften, die sich hinter den Mauern einer Polizeikaserne verschanzten. Diesmal waren es aber nicht Muammar al-Gaddafis Ordnungshüter, sondern ehemalige Revolutionäre der Brigade Derra Libya, „Schutzschild Libyens“, die mit Willkür und martialischem Auftreten den Unmut der Bevölkerung auf sich gezogen hatte.
Als sich eine Delegation der Demonstranten mit Kommandeur Wessam Ben Humeed schließlich auf eine Verhandlungslösung geeinigt hatte, sah es nach dem Abzug der Protestierer aus. Doch plötzlich fielen Schüsse. Bei den folgenden Kämpfen starben 27 Demonstranten, zwei Derra-Libya-Kämpfer und mindestens zwei Soldaten einer Spezialeinheit der Armee, die schließlich die Kontrolle über die Kaserne übernahm. Bewaffnete aus ganz Bengasi versuchten mehrmals vergeblich, die Kaserne zu stürmen. Über 60 Verletzte werden im Al-Jalal-Krankenhaus behandelt, davon 11 auf der Intensivstation.
Viele Bürger reagierten schockiert auf die Vorfälle. In Bengasi hatte die Revolution gegen Gaddafi am 17. 2. 2011 mit Bürgerprotesten begonnen. „Nun werden wir ein zweites Mal um unsere Sicherheit und Freiheit kämpfen müssen“, sagt ein zorniger Passant auf dem Freiheitsplatz.
Der Aufruf zur Besonnenheit von Regierungschef Ali Seidan und seine Ankündigung einer umfangreichen Untersuchung verhallten ungehört. Viele Aktivisten befürchten, dass der Machtkampf zwischen moderaten und extremistischen Gruppen in Libyen nun zu einem offenen Konflikt eskalieren könnte. Im Osten Libyens, der Cyreneika, wirft man der Regierung zudem vor, den Aufbau einer regulären Armee und Polizei zu verzögern.
„Die Spezialeinheiten der Armee haben vor zwei Wochen auf eigene Faust die Kontrolle über die neuralgischen Punkte in Bengasi übernommen, gegen den Willen der Armeeführung“, bekräftigt der Journalist Taufwik Mansourey. „Generalstabschef Jussuf Mangusch ist der Hauptgrund für die Macht der Gruppen wie Derra Libya und 17. Februar.“ Hunderte Milizionäre wurden nach dem Ende der Revolution dem Kommando des Verteidigungsministeriums unterstellt und in Derra Libya zusammengefasst. Das Ziel, sie so besser zu kontrollieren, wurde jedoch nicht erreicht.
Bürgerrechtler werfen den zur Parallelarmee und -polizei mutierten Milizen zudem vor, Teil eines islamistischen Netzwerkes zu sein, das den Aufbau von Rechtsstaatlichkeit verhindern will und das Ziel eines islamistischen Nordafrika verfolgt.
„Die radikalen Islamisten verlieren nach Mali und der Sinai- Halbinsel bald auch die Kontrolle über weite Teile Syriens. In Bengasi gibt es Geld und Öl und von hier kamen die Waffen. Sie werden die Cyreneika nicht so schnell aufgeben“, befürchtet ein Journalist, der ungenannt bleiben möchte.