phantomsoldaten von WIGLAF DROSTE
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Die Beleidigten aller Fraktionen feiern gerade Karneval. Deutsche Restlinke, hoffnungslos kitschig verknallt in Palästinenser und ihre Tücher, werfen sich ganz mutig in die Brust und sagen: Wir kritisieren die Politik Israels, das ist gerade für uns als Deutsche sehr wichtig, denn weil Deutsche früher Juden ermordeten, müssen wir heute sehr genau aufpassen, was die Israelis tun. Und leider feststellen: Die Israelis sind die Nazis von heute. Richtig glücklich sind diese Deutschen, wenn sie einen Juden finden, der sie bestätigt und bekräftigt. Für mutige deutsche Antisemiten gibt es keinen schöneren Kronzeugen als einen jüdischen, hinter dem sie sich verstecken können: Der Mann ist Jude! Und sagt es selbst, was von den Juden zu halten ist. Ha!

Es gibt für Deutsche sechs Millionen Gründe, sich Israel gegenüber belehrender Kommentare und staatsanwaltsartig vorgetragener Anklagen zu enthalten. Manche Deutsche aber stellen ihren Mangel an Takt und Feingefühl als politischen Mut aus und fühlen sich von politischer Korrektheit umzingelt und verfolgt. Sodass am Ende wieder alles stimmt: Das eigentliche Opfer ist immer der Deutsche.

Dieses Prinzip greift auch andersherum. Philosemiten, die sich ähnlich taktlos Israel als Freunde und Helfer andienen und mit guten Ratschlägen gleichfalls nicht geizen, sehen sich quasi stellvertretend bedroht. Wie sich der deutsche Antisemit mit den palästinensischen Habenichtsen identifiziert, so identifiziert sich sein Pendant, der deutsche Philosemit, mit den israelischen Opfern palästinensischer Mörder und Selbstmordattentäter. So kann man, selbst gänzlich unbedroht, ein unglaublich tapferes Leben führen, für das man sich ganz prima auf die Schulter klopft.

Ohne den Wahn, verfolgt zu werden, macht solchen Phantomsoldaten das Leben keinen Spaß. Ähnlich verhält es sich auch mit dem Beleidigtwerden und dem anschließenden Beleidigtsein; das muss wohl der höchste Lustgewinn sein. Nur dafür schafft sich der Mensch patriotische oder religiöse Gefühle an: damit er behaupten kann, sie wären verletzt worden und er habe geradezu heiligen guten Grund, ganz schlimm beleidigt und wütend zu sein. Dies gilt für stumpfe Islamisten / Genauso wie für deutsche Christen.

Von Peter Scholl-Latour beispielsweise wusste man bisher einiges; als Gastkommentator in Bild entblößte der alte Kriegsschauplatzwart gestern überraschend seinen Glauben: „Als gläubiger Katholik sage ich: Wenn man im Fernsehen oder in der Zeitung die christliche Religion derart verhohnepipelt, schockiert mich das auch zutiefst.“ Ohne „zutiefst“ scheint gar nichts mehr zu gehen in der religiös aufgerüsteten Welt. Ob Christ oder Muslim, Hauptsache zutiefst beleidigt, zutiefst schockiert, zutiefst unentspannt.

„Respekt vor der Religion!“ fordert Scholl-Latour; das ist so überzeugend wie das „Ey Alta, Respekt ey!“, das Halbwüchsige gern von sich geben. Man kann Wahnvorstellungen ignorieren oder sanft tolerieren, man kann den Wahnsinnigen gut zureden und sie unter sich ihre ulkigen Rituale verrichten lassen – kurz: Man kann großzügig sein. Und was machen die Wahnsinnigen? Sie verstehen alles falsch und brüllen: „Respekt!“