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Archiv-Artikel

Das Montagsinterview„Das nimmt absurde Formen an“

Der Schriftsteller Frank Schulz kommt vom Dorf und schreibt in Hamburg. Dort möchte er aber nicht begraben seinHEIMAT ODER FREMDE Der aus Hagen kommende, in Hamburg lebende Schriftsteller Frank Schulz über den Erfolg der Zugezogenen-Literatur und seinen Zwang zur Realität

Frank Schulz, 53

■ wuchs in Hagen bei Stade auf und zog später nach Hamburg. Seine Hagener Trilogie („Kolks blonde Bräute“, „Morbus fonticuli oder Die Sehnsucht des Laien“, „Das Ouzo-Orakel“) erschien zwischen 1991 und 2006 und spielt teilweise in Hagen, einige der Personen kommen von da. Zu Schulz‘ Verehrern gehören Gerhard Henschel und Harry Rowohlt. Sein neues Buch „Mehr Liebe. Heikle Geschichten“ erscheint am heutigen Montag.

INTERVIEW VOLKER HUMMEL

taz: Herr Schulz, sind Sie in Ihrem Heimatort Hagen inzwischen berühmt?

Frank Schulz: Meine öffentliche Anerkennung als Schriftsteller dort liegt noch gar nicht so lange zurück. Mein Coming-out hatte ich 2007 bei einer Lesung in der Gaststätte Wiebusch im Rahmen der 875-Jahr-Feier des Dorfes. Das war sozusagen meine abschließende Initiation ins Dorfleben. Mich in diesen Saal zu setzen, der zugleich Schauplatz einiger Ereignisse der Hagener Trilogie war, und vor all den Ureinwohnern die Hosen runterzulassen – heiliger Strohsack, so aufgeregt war ich noch nie bei einer Lesung. Einige Vorbilder für Figuren aus meinen Büchern saßen im Saal, und ich hatte keine Ahnung, ob die sich wiedererkennen und was sie dann davon halten würden. Ist aber gut gegangen, niemand hat sich beschwert.

Haben Sie vor, eines Tages nach Hagen zurückzukehren?

Ich bin sowieso relativ häufig dort, weil meine Eltern, Schwestern und einige Freunde noch dort leben, meine Großeltern sind dort begraben, meine Verbindung zum Ort ist sehr eng. Die Rückkehr ist für mich schon deshalb eine Option, weil ich eines Tages das Haus meiner Eltern erben werde. Ich weiß aber nicht, ob ich nur dort leben könnte, eine Zweitwohnung in Hamburg müsste schon sein.

Sie tragen also, wie der Dorfpunk Rocko Schamoni, Ihr Dorf immer mit sich rum?

Ja, im Hamburger Literaturbetrieb habe ich mich lange Zeit wie ein Bauer auf einer Cocktailparty gefühlt, und auch heute noch habe ich, etwas pathetisch gesagt, meine Herkunft nicht vergessen. Als Hamburger fühle ich mich nach wie vor nicht, ich bin hier ein Quiddje und werde es wohl immer bleiben. Mein Grab hätte ich lieber am Hagener Mühlenteich als hier.

Wie erklären Sie sich die Konjunktur der Zugezogenen-Prosa der letzten Jahre? Neben Ihrer Hagener Trilogie waren ja auch Heinz Strunks „Fleisch ist mein Gemüse“ und Rocko Schamonis „Dorfpunks“ sehr erfolgreich.

Ich glaube, der Erfolg dieser Bücher hat sehr viel mit der fortschreitenden Zersplitterung der Gesellschaft und der Sehnsucht nach Heimat zu tun. Als ich in den 80er Jahren mit der Arbeit an „Kolks blonde Bräute“ begann, habe ich mich an Brösel-Werner und Heino Jaeger orientiert, wegen der spezifischen Heimat-Färbung ihres Humors und ihrer Sprache. Dialekte werden heute ja in allen Kultursparten als Reservoir für ein bestimmtes Heimatempfinden genutzt. Komiker, Literaten, Musiker reüssieren mittlerweile mit spezifischen Jargons. Das kommt nicht von ungefähr.

Wann haben Sie Ihr Interesse für die Sprache und die Literatur entdeckt?

Mit elf habe ich angefangen, Tagebuch zu führen, das war ein sinnliches Vergnügen für mich, mit einem Füllfederhalter mit dicker Tinte, die ein Relief hinterließ, in das Notizheft zu schreiben, das mir mein Vater geschenkt hatte. Die nächste Raketenstufe zündete ich mit 13, 14, als ich begann, massenweise Plagiate von Agatha-Christie-Krimis zu schreiben, die von einem hanebüchenen Indizienwahn geprägt waren. Spätestens mit 15, 16 wollte ich Schriftsteller werden.

Können Sie heute vom Schreiben leben?

Seit ein paar Jahren zeitweise ja. Ich führe jetzt ein Schriftstellerleben, wie ich es mir immer vorgestellt habe. Ich habe eine zweite Wohnung gemietet, wo ich jeden Tag mein Schreibwerk vollbringe. Im Moment kann ich mir nichts Schöneres vorstellen, als hier jeden Tag zu sitzen und zu dichten. Das ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich mich als Schriftsteller empfinde, weil ich, zumindest für die nächsten beiden Jahre, keine anderen Nebenjobs machen muss. Als ich „Das Ouzo-Orakel“ fertig hatte, war ich pleite und musste mir erst mal eine Arbeit suchen.

Ihre Werke zeichnen sich durch eine große Genauigkeit bei der Schilderung von Orten, Milieus und Dialekten aus. Ist es Ihnen wichtig, dass die Dinge wiedererkennbar sind?

Ja, ich brauche immer eine Anschauung der Realität, um einen Einstieg zu finden, das nimmt manchmal absurde Formen an. Eine Szene, an der ich gerade arbeite, soll zum Beispiel auf der Hudtwalckerbrücke spielen. Ich konnte ums Verrecken nicht an meinem Schreibtisch sitzen und die Szene imaginieren, ohne mir die Brücke angesehen zu haben. Dabei geht es vor allem um die Details, die eine Szene erst lebendig und glaubwürdig machen. Tatsächlich entdeckte ich an der Brücke eine eigentümliche Mauer, die ich mir nie hätte ausmalen können, die ich mir aber nun zunutze machen kann.

Suchen Sie gezielt nach Typen und Orten, die Sie literarisch verwenden können?

Ja, ich gehe gerne los. Da ich mich sehr schwer damit tue, über Kreise zu schreiben, in denen ich mich nicht auskenne, muss ich sie mir entweder näher ansehen oder ihrer Beschreibung einen fantastischen Touch geben. Auch wenn das von David Foster Wallace schon mit großer Brillanz durchexerziert worden ist, würde ich gerne mal eine Kreuzfahrt machen und die Leute dort beobachten. Ein überschaubares Gebilde wie ein Schiff, mit einer relativ geschlossenen soziologischen Gruppe von Menschen, das finde ich reizvoll.

Schreiben Sie Ihre Beobachtungen immer gleich auf?

Ja, das muss ich, sonst ist es weg, ich vergesse alles. Vielleicht bleiben ein paar Eindrücke hängen, aber die Details gehen flöten. Sehr hilfreich ist ein Diktiergerät, manchmal reichen zwei Wörter, dann kommt die Erinnerung zurück. Oft entstehen Geschichten, indem ich aus einem aufgeschnappten Dialog oder Witz eine Handlung entwickle.

In Ihrem neuen Buch geht es um die Liebe.

Mein Leitmotiv war ein Satz von Marie von Ebner-Eschenbach: „Die meisten Menschen brauchen mehr Liebe, als sie verdienen.“ Dieser grundlegende Befund über die Bedürftigkeit oder gar Notdurft der Liebe hat mich interessiert, und dabei wollte ich zwei Themenkomplexen besonderen Raum geben, dem Pop, bei dem es ja fast immer nur um diese eine Emotion geht, und der Gewalt als eine Art Anti-Liebe. Gewalt ist eine Obsession von mir, ich hasse sie wie die Pest, bin aber auch fasziniert davon.

Ist der Großvater der einzige Mensch, den man „auf eine ganz und gar reine Art“ lieben kann, wie es in einer Geschichte heißt?

Vielleicht, oder? Mit seinen Eltern hat man mal Schwierigkeiten, mit seiner Frau hat man mal Schwierigkeiten, mit seinen Freunden hat man Schwierigkeiten, nur mit seinen Großeltern nicht. Mit meinem Opa hatte ich eigentlich nichts, was uns verband, außer eben die Verwandtschaft. Wir mochten uns und haben nie etwas voneinander verlangt. Wir haben beisammen gesessen und uns aneinander erfreut, er hat mir eine Zigarre gegeben, wenn ich ihn besuchte, wir haben nicht viel miteinander geredet. Ich habe den Kerl aus ganzem, reinem Herzen geliebt, aber das wurde mir erst so richtig klar, als er weg war.

Hat Liebe immer eine illusorische Komponente oder besteht sie gerade darin, die Wahrheit zu akzeptieren?

Ich glaube, wenn man sich verknallt, spielt ein gewisses Idealbild immer eine Rolle. Aber sobald man anfängt, richtig zu lieben, wird dieses Idealbild eher hinderlich. Jedenfalls habe ich das so bei mir beobachtet. Als ich mich vor 25 Jahren in meine Frau verknallt habe, musste ich mich erst mal an gewissen Erwartungen und Prägungen abarbeiten. Nach und nach habe ich entdeckt, wie meine Frau wirklich ist, und als ich dann feststellte, dass sie mir sogar so gefällt, war es Liebe.

Frank Schulz: „Mehr Liebe. Heikle Geschichten“, Verlag Galiani, 19,95 Euro. Die Lesung ist am heutigen Montag, 22.2., um 20 Uhr im Literaturhaus Hamburg