: Fiese Lehrer machen dumm
Psychische Misshandlung durch Lehrer führt zur Rückbildung wichtiger Hirnorgane, warnt der als Anti-Atom-Experte bekannt gewordene Erziehungswissenschaftler Holger Strohm im taz-Interview
Interview: Kaija Kutter
taz: Herr Strohm, Sie halten in Hamburg Vorträge darüber, wie Lernen funktioniert und Schule sein sollte. Wie denn?
Holger Strohm: Ganz wichtig ist, dass Kinder gut behandelt und nicht psychisch oder physisch misshandelt werden – was aber leider in der deutschen Schule geschieht. Denn dadurch bilden sich Teile im Gehirn, der Hippocampus, der Mandelkern und der Balken, bis zu 20 Prozent zurück. Das sind die Teile im Gehirn, die für Empfindungen und das Lernen zuständig sind. In dem Augenblick, wo eigenständiges Denken bestraft wird, zum Beispiel durch schlechte Zensuren oder abfällige Bemerkungen, unterlässt das Kind dies und mit der Zeit veröden diese Teile dann. Später ist dieser Mensch nur noch begrenzt zu eigenständigem Lernen imstande.
Was machen diese Teile?
Der Hippocampus ist der große Dirigent des Gehirns. Der Mandelkern behaftet alle Informationen mit Gefühlen, damit das Gehirn sie besser speichern und abfragen kann. Bei Gefahr stößt er Adrenalin und Noadrenalin aus, wodurch der Mensch zur Flucht veranlasst wird und das Denken nicht mehr möglich ist. Der Balken verbindet die linke und rechte Gehirnhälfte, ist also ganz entscheidend beim Denken beteiligt. Wenn Kinder nicht genug geliebt werden, können sie ihre Denkfähigkeit nicht entfalten.
Warum ist das so?
Damit sorgt die Evolution dafür, dass ein Kind, das in einer denk- und kinderfeindlichen Gesellschaft lebt, bessere Überlebenschancen bekommt, indem es Sensibilität wegschneidet.
Und wie lernen Kinder gut?
Schon Johann Wolfgang v. Goethe hat vor 200 Jahren gesagt: „Überall lernt man nur von dem, den man liebt.“ Lernen muss mit positiven Gefühlen behaftet sein, dann stößt der Mandelkern Endomorphine aus und erleichtert, verstärkt und belohnt das Lernen. Auch lernt ein Kind praktisch nur mit Bewegung. Die Feinmotorik, Musizieren, Tanzen, Sport treiben, Spielen sind ganz entscheidend, da sie die neurale Verknüpfung der Nervenzellen fördern. Das macht Intelligenz aus. Leider spielt Bewegung in Schule immer weniger eine Rolle.
Sollten wir Zensuren und Prüfungen abschaffen?
Ja. Weil Zensuren nicht objektiv sind. Wir wissen, dass Lehrer bei ihren Lieblingen 50 Prozent der Fehler übersehen und bei denen, die sie auf dem Kieker haben, nur zehn Prozent. Zensuren sind hauptsächlich vom Vomeronasalorgan abhängig. Das ist ein Stecknadelkopf-kleines Organ in der Nasenwurzel, das Pheromone, die die Hautporen ausdünsten, erschnüffelt und damit entscheidet, ob man einen Menschen mag oder nicht. Wir sollten auch das Sitzenbleiben abschaffen, weil dadurch Schule nur unerträglicher wird.
Nützt Auswendiglernen?
Nein, wenn man einen Stoff nicht durchdrungen hat, wird es vom Gehirn wieder gelöscht.
Woher beziehen Sie all diese Erkenntnisse?
Ich verfolge seit drei Jahrzehnten die Fachliteratur und lese alles, was in der Hirnforschung geschieht. In den vergangenen fünf Jahren haben die Hirnforscher die größten Fortschritte gemacht und die Zusammenhänge, wie Informationen im Gehirn gespeichert werden, erkannt.
Man kennt Sie als Anti-Atom-Experten. Seit wann beschäftigen Sie sich mit Schule?
Seit 35 Jahren. Ich habe in Hamburg Erziehungswissenschaft studiert, war selbst Lehrer und habe Anfang der 70er Jahre für den damaligen schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme das Konzept einer neuen skandinavischen Schule entwickelt. Es war mir schon damals klar, dass man nicht gegen das Gehirn lernen kann und die Neurodidaktik beachten muss.
Wie kamen Sie in Kontakt und was haben Sie geraten?
Ich hatte selbst eine Zeit in Schweden gelebt, und Palme hatte 1971 einen Beitrag für meinen „Umweltschutzreport“ verfasst. Seither hatten wir einen intellektuellen Austausch. Palme war damals zunächst Schulminister und bat mich, ihm ein kritisches Konzept auszuarbeiten. Das tat ich dann und schlug ihm eine Schule ohne Angst, ohne Sitzenbleiben und Zensuren in kleinen Klassen vor, in der die Schüler selbst entscheiden, wie und was sie lernen. Ich sagte ihm, es sei wohl eine Utopie, aber er meinte, er könne dies umsetzen, solange man damit bessere Leistungen erzielt. Und da dies so war, haben Schweden und seine Nachbarländer dies flächendeckend eingeführt. In Finnland erlangen heute 93 Prozent, in Schweden 80 Prozent eines Jahrgangs die Hochschulreife und es werden hohe Spitzenleistungen erzielt.
Können schwache Schüler Spitzenleistungen erbringen?
Wenn wir früh anfangen. Es kann, sofern keine hirnorganischen Schäden vorliegen, jedes Kind sechs Sprachen lernen.
Aber dafür brauchen wir kleine Klassen, von denen die Politik sagt, sie seien unbezahlbar.
Es nicht zu bezahlen, ist viel teurer. In Skandinavien brummt heute die Wirtschaft, während wir das Armenhaus von Europa werden.
Sie sprechen von Lehrergewalt in Deutschland und meinen damit auch körperliche Misshandlung. Woher wissen Sie das?
Das Thema wird tabuisiert. Der Salzburger Professor Volker Krumm hat 2004 rund 800 Lehrer befragt. 80 Prozent gaben zu, dass sie psychische oder körperliche Gewalt ausüben. Ich habe im Rahmen meiner Doktorarbeit 1999 in Hamburg 450 Lehrerstudenten befragt. 80 Prozent hatten als Schüler psychische Gewalt erlebt, und ein Viertel sogar körperliche.
Habe ich zuletzt 1974 an meiner Grundschule beobachtet.
War damals schon verboten. Auch in Hamburg habe ich mit Schulleitern gesprochen, die sagen, an ihrer Schule gibt es Lehrer, die schlagen. Aber es würde zu teuer, diese Beamten aus dem Schuldienst zu entfernen.
Wie erklären Sie die Gewalt?
Es gibt sehr gute Lehrer, aber auch schlechte. Es ist teilweise ein Burnout-Problem. Es gibt Lehrer, die selber als Schüler geprügelt wurden und das weitergeben. Es gibt aber auch Sadisten, die diesen Beruf wählen, um Macht über Schüler auszuüben. Und es ist Teil unseres nationalsozialistischen Erbes, die Verachtung für das Schwache, die wir noch nicht überwunden haben. In Skandinavien wäre das nicht möglich.