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Bremen nach sechs Minuten bei sich

Trotz snobistisch anmutender Defensivverweigerung zeigt sich Werder Bremen beim 4:2 gegen Mainz 05 wieder in bewährter Fußballspaßmanier und holt noch in der ersten Halbzeit einen 0:2-Rückstand auf. Zidan trifft für Mainz und seine alten, wie auch baldigen Bremer Teamkameraden

aus Bremen von Jens Fischer

Fußball als Spaßbremse für die werderfreie Freizeitindustrie an der Weser. Um einige Prozentpunkte heruntergerechnet werden müsen dort die Umsatzerwartungen für 2006. Denn den anhaltend hohen Unterhaltungsfaktor der Bundesligaspiele honoriert das amüsierwillige Publikum damit, lieber einmal ins Weserstadion und dann fünfmal nicht ins Kino zu gehen.

Die Werder-Tickets sind brutal teuer, aber auch bei mittelmäßigen Gegnern und eisigem Wind heiß begehrt. So finden sich 37.000 Bremer Anhänger und auch im Gäste-Fanblock Fußballnarren ein, um einer neuen Variante balltreterischer Event-Dramaturgie beizuwohnen. Ein Spiel, bei dem zusammenwächst, was fußballpartymäßig zusammengehört. Der selbst ernannte Karnevalsverein Mainz 05 gegen Werder Bremens „Erlebnisfußball“, wie Trainer Thomas Schaaf die Berufspraxis seiner Schützlinge bezeichnet.

Sofern diese nicht im Winterschlaf weilen – wie bei der mauligen Eistänzerei gegen St. Pauli und dem lustlosen Duselsieg gegen Arminia Bielefeld. Eine Woche wurde daher in Bremen das Zusammenspiel der einzelnen Mannschaftsteile trainiert, um die alten Spielwitz-Tugenden wieder neu zu entfachen. Und so macht Werder vom Anstoß weg wieder Ernst mit der doppelten Wortbedeutung von „Erlebnisfußball“. Darunter ist ja nicht nur zu verstehen, selbst die kleinsten Räume für kombinationsschnelles Offensivspiel zu nutzen und die beim Werder-Ticketkauf mitgelieferten Torschreie von den Fan-Lippen zu befreien. Der Begriff meint auch, snobistische Defensivverweigerungen im Mittelfeld, atemberaubende Abwehr-Kapriolen und schier unglaubliche Torwartfehlleistungen.

Um all das erneut als „100 % Werder“ zu definieren, geht es im Duell gegen Mainz gleich nach 12 Sekunden los. An der Mittellinie stehen die Grünweißen hübsch aufgereiht, schauen mal zu, was der Ex-Bremer Manuel Friedrich so kann, staunen über seinen weiten Flankenschlag, so dass der Ball flugs im Strafraum landet. Naldo tritt lieber, wegen Unterhaltungsfaktor, nach imaginären Schneeflocken, Torwart Reinke stattet der Szene nur zögerlich einen Besuch ab, sinkt fäustlings zu Boden, schubst den Ball dabei Zidan vor die Füße, der nur noch ins leere Tor kicken muss. Was ihm peinlich ist. Hatte der offensive Entertainer doch gerade erst die Werder-Spieler innigst umarmt, zu denen er im Sommer zurückkehren möchte. Er besitzt in Bremen einen Vertrag bis 2008. Nur schamvoll halbhoch reißt Zidan also seine Arme, während die Mainzer Mitspieler jubelnd über ihn herfallen.

Als grünweiße Nummer 21 fiel Zidan einst vornehmlich durch kindliches Fußballgemüt auf: hatte er den Ball, schaute er nicht rechts, nicht links, dribbelte nur flink geradeaus los, und wenn ihm nicht ein gemeiner Bube mit dem Spielgerät auch die Ballzaubermacht nahm, schoss er ein Tor. Eigensinnig und taktisch schwach agierte der ägyptische Nationalspieler. Wie einst beim dänischen FC Midtjylland.

Da bei Werder der Erlebnisfußball aber nicht als schlichte Addition von Alleinunterhalterqualitäten, sondern als Ensembleleistung funktionieren soll, konnte er sich gegen Klose, Klasnic und Valdez nicht durchsetzen, musste sogar Nachwuchsstürmer Aaron Hunt an sich vorbeiziehen lassen – und wurde zum Nachhilfeunterricht in die Spaßfußballschule Mainz ausgeliehen. Im Weserstadion präsentiert er jetzt die Lernerfolge, sprintet aggressiv die ballführenden Bremer Spieler an, grätscht ihre Angriffsbemühungen ab, ist läuferisch sehr präsent, setzt bedingungslos nach und kann rasent schnell umschalten von der Rückwärts- in die Vorwärtsbewegung. Die Werder-Fans feiern Zidan schon vor dem Anpfiff, nach Spielschluss will er das Weserstadion gar nicht verlassen, ist stolz, ein Werdertrikot unter der wärmenden Decke zu tragen.

Aber fast alle sind stolz auf Werder. Beste Unterhaltung wird geboten. Bremens Jelle van Damme spielt dem Mainzer Otto Addo den Ball in den Lauf, der flankt, Reinke guckt, Niclas Weiland locht ein: 0:2 (13. Minute). „Jetzt geht es los“, ist auf den Rängen zu hören. Je schwieriger die Ausgangslage, desto höher der Unterhaltungswert, wenn es dann doch zum Sieg reicht.

Schaaf wechselt also den verschreckten Abwehrrecken Naldo gegen den feinsinnigen Ankurbler Daniel Jensen aus. 39. Minute. Plötzlich hat Werder Lust, wirkt gefestigt, erinnert sich an humorvolle Varianten im Spiel nach vorn. Aus dem schlechten Start wird ein gutes Spiel. In seiner wendig-eleganten Art setzt sich Nelson Valdez an der Strafraumgrenze durch: 1:2. Antreiber und Spielgestalter Micoud köpft ein: 2:2. Ballverstolperer Klasnic überläuft die Abwehr und den Torwart: 3:2. 45. Minute. Werder wieder ganz bei sich.

Normale Spiele und Langeweile gibt es in Bremen einfach nicht. Immer was los auch nach der Halbzeitpause. Entspanntes Schaulaufen mit Chancen im Fünfminutentakt, juxigen Stellungsfehlern in der Abwehr und dem üblichen Blackout des Torwarts. Nur, dass Mainz in Halbzeit 2 derartig beeindruckt ist von den Erlebnisfußball-Qualitäten Werders, dass sie ihren Spaßfußball einstellen. Während der immer etwas vorlaute Valdez einen Konter noch derart beeindruckend souverän zum 4:2 abschließt, dass man das nur als Warnung an Kollegen Zidan verstehen kann.

In Mainz darf er solche Spiel immerhin auf dem Platz erleben, in Bremen würde er nur auf der Bank dabei sein.

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