: Wohin Aber Soll‘s Gehen
Kalt erwischt hat die Niedersachsen- WASG die Bundes-Spitze der Partei durch die Forderung, doch schon Anfang März über die Fragen von Fusion und Doppelmitgliedschaftzu entscheiden. Dabei hatte der Bundesvorstand diesen Termin doch gerade gecancelt – aus Angst vor Brandstiftern
von Benno Schirrmeister
Ausgerechnet Niedersachsen – nein, damit war nicht zu rechnen. Bisher galt Niedersachsen als befriedet und mit sich und der Bundespartei im besten Einvernehmen: 1.209 Mitglieder hat der Landesverband der „Wahlalternative Arbeit & Soziale Gerechtigkeit“ (WASG). Mit dem emeritierten Volkswirtschafts-Prof Herbert Schui ist zudem ein profilierter WASGler über die gemeinsame Liste mit der Linkspartei in den Bundestag eingezogen. Und schließlich wird es im Herbst Kommunalwahlen geben – und die sind fürs ideologische Feintuning nicht so geeignet. Lauter Faktoren also, die sich gut aufs Bündnis-Klima auswirken.
Jetzt aber hat der Landesvorstand den Bundesvorstand düpiert. Einstimmig hat er beschlossen, einen Sonderparteitag zu fordern – und zwar am Wochenende vom 4. März. Vorschlag zur Tagesordnung: Eine Debatte über die Frage der Doppelmitgliedschaften in PDS und WASG.
Ein Sonderparteitag – das hört sich weniger spektakulär an als es ist. Denn, würde die Forderung der Niedersachsen durchkommen – benötigt wird dafür eine Unterstützung von 20 Prozent der Mitglieder – wäre das eine herbe Schlappe für die Führung der Gesamtpartei. Der Bundesvorstand hatte nämlich selbst ursprünglich das erste Märzwochenende als Parteitags-Termin genannt, den aber dann verschoben. Namentlich Klaus Ernst hatte bei einer Sitzung am 20. Januar für eine Verlegung auf Ende April plädiert. Grund: Der Parteitag könnte dem Vorstand sonst „um die Ohren fliegen“. Schließlich seien die Brandstifter nicht mehr in der Minderheit.
Mit Brandstiftern sind diejenigen WASG-Mitglieder gemeint, die einer Fusion mit der Linkspartei skeptisch gegenüberstehen und Doppelmitgliedschaften ablehnen, weil sie eine Unterwanderung befürchten. Und dass sie im Vorstand so heißen, liegt daran, dass ein zweifaches Nein einen erheblichen Gesichtsverlust bedeuten würde: Die prominentesten Doppelmitglieder sind Oskar Lafontaine und Gregor Gysi. Und ein Fusionsstopp gar würde die gemeinsame Fraktion im Bundestag auflösen. So etwas gestattet die Geschäftsordnung des Parlaments nämlich nur, wenn die Partner auch auf Länderebene nicht konkurrieren – wie CDU und CSU.
Bisher hatten vor allem kleine Landesverbände revoltiert – etwa Mecklenburg-Vorpommern mit 125 registrierten WASGlern. Niedersachsen hingegen, wo immerhin 10 Prozent aller Parteimitglieder leben, war höchstens durch außerordentliche Ruhe aufgefallen. Sicher, Anfang Januar gab’s Ärger im Kreisverband Hannover-Region, weil da Leute mit PDS und Wahlalternativen-Parteibuch von einer Sitzung ausgeschlossen wurden, sodass die Linkspartei-Kreisvorsitzende das „fehlende Demokratieverständnis der handelnden Personen“ rügen musste. Die handelnden Personen sind dann schnell in sich gegangen. Und längst war Jörn Jan Leidecker, der bei der Ex-PDS das schöne Amt eines Kreisfusionsbeauftragten bekleidet, wieder „optimistisch“ gestimmt, „dass solche Eskalationen der Vergangenheit angehören“. Schließlich seien die Aussprachen auf Landesebene viel „harmonischer“ verlaufen.
Tatsächlich hört sich das auch so an, wenn man beim WASG-Landesvorstand nachfragt. Zu dem Gremium gehört beispielsweise der Oldenburger Jürgen Noffz, der bezüglich des Verhältnisses zur Linkspartei „eine ziemlich klare Ansage“ verspricht: „Wir sind“, lautet die, „für ein breites linkes Bündnis.“ Bei den bevorstehenden Rathaus-Wahlen werden sich WASG und Links jedenfalls keine Scharmützel liefern, das ist beschlossene Sache, und ein Abweichen steht laut Noffz „in keinem Kreisverband zur Debatte“. Also alles paletti? Nicht ganz: „Dem Fusionskurs stehen wir äußerst skeptisch gegenüber – ein Anschluss an die Linkspartei würde wahrscheinlich abgelehnt“, so Noffz.
„Die Anfangs-Euphorie ist verflogen“, diagnostiziert Landes-Schatzmeister Frerich Rüst. Das Ganze sei eine Zerreißprobe, ein Riesenfindungsprozess gar, der geklärt gehöre und zwar schnell: „Es muss doch fest stehen, wer stimmberechtigt ist und wer nicht.“ Mit Sorge sieht er auf die Mitgliederzahlen. Die sind rückläufig: Der Monatsbericht Dezember vermerkt in Niedersachsen 130 Austritte, zehn Prozent weniger also – Bundesdurchschnitt. Dass die Abgänge aufs Konto der Fusionsdebatte gehen, ist für Rüst klar: „In die PDS eintreten können“, sagt der DGB-Sekretär, „hätte ich auch vor 15 Jahren schon.“ Das Misstrauen sei da, die andere politische Kultur, Rüst spricht von „Kaderstruktur“, nicht ohne weiteres hinzunehmen. Und irgendwie scheint die Linkspartei auch die wackeren WASGler übern Tisch ziehen zu wollen, indem sie,im Hinblick auf die Kommunalwahlen, „Filetstücke und Zentren“ für sich reklamiert. „Die haben doch 15 Jahre im Westen nichts gerissen“, empört sich Rüst. „Wir haben die doch erst stark gemacht.“
Beifall erhielt der Niedersachsen-Vorstoß bereits aus Schleswig-Holstein. Natürlich nicht vom ganzen WASG-Landesverband. Wohl aber vom umstrittenen Kreisvorsitzenden Ostholstein, Rainer Mill. Der verweist auch darauf, dass durch den Sonderparteitag keine Zusatzkosten entstehen. Schließlich seien die Lokalitäten schon durch den Bundesvorstand gemietet und müssten „auch bei der Absage von den WASG Mitgliederbeiträgen bezahlt werden“.