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Archiv-Artikel

Fenster zum Multikulti-Hof

In „Nette Nachbarn küsst man nicht“ (20.15 Uhr, Sat.1) wird Senta Berger zur verliebten Spannerin

Es hält sich im Rest Deutschlands ja noch immer hartnäckig das Gerücht, dass in einem Kreuzberger Hinterhof so ziemlich die ganze Welt Platz findet. Und was für den einen eine Multikulti-Utopie darstellt, ist für den anderen eine Vision des Schreckens. Der Münchner Staatsanwaltsgattin Helga Forstmann (Senta Berger), die ihrem Mann bei dessen beruflichem Aufstieg in die Hauptstadt folgt, sieht in dem pittoresk verrummelten Hinterhof ihrer Berliner Übergangswohnung jedenfalls den perfekten Nährboden für das Verbrechen. Kiffende Schwarzafrikaner, saufende Punks, schweigende Türken und ein Haufen anderer, kulturell nicht immer ganz leicht zu verortender Menschen laden die Hausfrau mit Freizeitüberschuss zu wilden Spekulationen ein.

Man muss kein Hitchcock-Kenner sein, um in diesem Hinterhof-Voyeurismus eine Variation auf „Fenster zum Hof“ zu erkennen. Auch in der Thrillerkomödie, in der Hauptdarstellerin Senta Berger gleichermaßen ängstlich und lüstern aus ihrem Wintergarten aufs Treiben der Nachbarn linst, geht es um die Frage: Was glauben wir zu sehen und was sehen wir wirklich?

Die Mittfünfzigerin jedenfalls meint, in dem jungen türkischen Aufreißer von gegenüber (Erdal Yildiz), dessen Charme sie zwischenzeitlich selbst verfällt, einen Mörder zu erkennen. Immerhin vernascht der virile Südländer Nacht für Nacht eine andere Blondine und schultert vor Morgengrauen lange, schwere und in Plastikfolie eingeschlagene Dinge durch den Hof, um sie im Keller zu entsorgen.

Die Beschreibungen brutaler Verbrechen, die Helgas Juristenehemann (Michael Gwisdek) in Heimarbeit trocken für die Akten ins Mikro diktiert, kurbeln ihre Fantasie nur an. Und in der jungen Putzfrau Fanny (Nina Kunzendorf) findet sie eine willige Assistentin, um den Nachbarn zu überführen. Dafür steigen die beiden bald in den Keller des ollen Mietshauses, diesem Abgrund ihrer eigenen Ängste und Begierden.

Stephan Wagner, einer der patentesten TV-Arbeiter des Landes, hat mit „Nette Nachbarn küsst man nicht“ (oje, dieser Titel!) einen amüsanten kleinen Film über echte und falsche Verbrechen vorgelegt. Die Sat.1-Produktion (Buch: Ruth Toma) besticht zwar keineswegs durch so klug in Szene gesetzte Paranoia wie sein Fluchthelfer-Krimi „Der Stich des Skorpions“, und der soziale Kosmos wird hier nicht so präzise beleuchtet wie im vielfach ausgezeichneten Justizdrama „In Sachen Kaminski“. Trotzdem legt Regisseur Wagner mit seiner realitätsbefreiten Hinterhof-Mär unterhaltsam die Grunddynamik eines jeden Thrillers offen: Der Lust am Schauen folgt unmittelbar die Angst vor dieser Lust.

CHRISTIAN BUSS