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Archiv-Artikel

Soldaten mit Hang zum Ekel

BUNDESWEHR Der Wehrbeauftragte Reinhold Robbe beklagt weitere Exzesse und obszöne Rituale bei der Bundeswehr. Er legte dem Bundestag eine Sammlung mit 23 Zuschriften vor

Einzelne Zuschriften verweisen auch auf Aufnahmerituale und Misshandlungen bei Luftwaffe und Marine

VON ULRIKE WINKELMANN

Rohe Leber? „Pah – wir haben auf dem Einzelkämpferlehrgang lebende Bildschleichen verzehrt.“ So antwortet ein ehemaliger Bundeswehr-Offizier auf die taz-Anfrage, ob es sich bei den anrüchig gewordenen „Ekelritualen“ in der Bundeswehr um Einzelfälle handele.

Die 23 Briefe, die der Wehrbeauftragte Reinhold Robbe nun dem Verteidigungsausschuss des Bundestags zuleitete, lassen speziell die Hochgebirgseinheiten im südlichen Bayern nicht gut aussehen. Ein Verfasser schreibt, er sei erleichtert, dass der „Hochzugskult“ nun öffentlich geworden sei. Er sei selbst 1995 in Mittenwald dessen Opfer geworden: „Wir (…) wurden mit Stockschlägen gezwungen schneller zu laufen! Ich könnte Ihnen bei Bedarf sogar Fotos zusenden“, heißt es, und weiter: „Auch Herr Guttenberg steht sicher als Zeuge zur Verfügung, da alle Mittenwalder Soldaten (einschließlich der Kommandeure) von dem Treiben wussten.“

Der Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) war Anfang der 1990er-Jahre selbst bei den Gebirgsjägern in Mittenwald stationiert, erklärte allerdings, von den vor zwei Wochen bekannt gewordenen Trink- und Ekelritualen nichts zu wissen. Am Dienstag sagte Guttenberg: „Den Fällen muss im Einzelnen nachgegangen werden.“ Die Ergebnisse der Aufklärung würden zeigen, welche weiteren Schritte nötig seien. „Ich wehre mich aber dagegen, Pauschalurteile zu fällen.“

Der Verteidigungspolitiker der Unionsfraktion, Ernst-Reinhard Beck, verstärkte die Botschaft des Ministers: Teilweise lägen die berichteten Vorfälle Jahrzehnte zurück, es handle sich „mitnichten um einen Skandal“, erklärte Beck. „Wer jetzt unreflektiert politische Konsequenzen fordert, lässt sich von fragwürdiger Sensationsgier leiten.“ Die Bundeswehr sei „immer Spiegelbild der Gesellschaft“ samt „Flatrate-Partys und Dschungelcamp“.

Einzelne Zuschriften, die der taz vorliegen, verweisen auch auf Aufnahmerituale und Misshandlungen bei Luftwaffe und Marine. So berichtet ein Mann, der vor zwanzig Jahren auf dem Zerstörer „Lütjens“ eingesetzt war, unter anderem vom so genannten Rotarsch-Ritual: „Eine Bohnermaschine (eine mobile Maschine mit einer großen, elektrisch betriebenen Borstenscheibe) wurde (…) dem Rekruten an den nackten Hintern gehalten, bis dass dieser rot war.“

Robbe will am heutigen Mittwoch mit dem Verteidigungsausschuss darüber diskutieren, welches Ausmaß solche Rituale bei der Bundeswehr potenziell haben und wie damit weiter umzugehen ist. Insgesamt habe er nach den ersten Veröffentlichungen Anfang des Monats 54 Zuschriften erhalten – nach taz-Informationen nicht alle anklagender, manche auch ausdrücklich abwiegelnder Art.

Zunächst aber müsse aufgedeckt werden, „was eigentlich stattgefunden hat – und zwar nicht nur in Mittenwald, sondern überall in der Bundeswehr“, sagte Robbe am Dienstag im Fernsehen. Konsequenzen forderte der SPD-Politiker, der sein Amt vermutlich bald abgeben muss, zunächst nicht.

Dies übernahm aber der Grünen-Verteidigungspolitiker Omid Nouripour. Er sagte zur taz, er erwarte baldmöglichst einen Bericht der Bundesregierung, nicht bloß weitergeleitete Post vom Wehrbeauftragten: „Wir müssen nicht nur über innere Führung sprechen, sondern auch darüber, was die Führung da macht“, erklärte Nouripour. „Wenn da nur zugeguckt wird, steht die ganze Offiziersausbildung der Bundeswehr in Frage.“

Der Verteidigungsexperte der Linksfraktion Paul Schäfer kommentierte: „Die neu bekannt gewordenen Exzesse, Erniedrigungen und Misshandlungen in der Bundeswehr zeigen: Wer trotz der zeitlichen und räumlichen Verteilung der Vorfälle noch von Einzelfällen redet, stellt sich blind.“

Ein Bundeswehr-Angehöriger in Bad Reichenhall teilte mit: „Wir haben hier einen Maulkorb bekommen.“ Reichenhall ist der Sitz des Brigadestabs der Gebirgsjägerbrigade „Bayern“, die sich auf die benannten Standorte in Südbayern verteilt. Presseanfragen zu den Vorgängen würden nur noch in Berlin behandelt. „Aber meine persönliche Meinung ist: Wenn die das Saufen nicht vertragen, sollen sie es bleiben lassen.“