: „Wir glauben an die Revolution“
DRAMA Mohammed Al Attar hat ein Stück über den Alltag im syrischen Bürgerkrieg geschrieben. Ein Interview zur aktuellen Situation, zum Versagen der Weltöffentlichkeit und zum Spielraum des Künstlers in diesen Zeiten
Aus unzähligen Gesprächen mit entlassenen Häftlingen hat Mohammad Al Attar das Stück „Und jetzt bitte direkt in die Kamera“ über den syrischen Bürgerkrieg komponiert. Am Donnerstag gibt es die deutsche Erstaufführung an der Probebühne des Heimathafen Neukölln. Am 4., 6. und 7. Juli wird Al Attar persönlich in Berlin sein und nach den Vorstellungen an Publikumsgesprächen teilnehmen.
■ „Und jetzt bitte direkt in die Kamera“: Pier 9, Hasenheide 9, 20.–22. 6., 20 Uhr, 18/13,50 €
INTERVIEW TOM MUSTROPH
Der syrische Dramatiker Mohammad Al Attar gehört zu jenen, die sich an den ersten Massendemonstrationen gegen das Assad-Regime beteiligten. Aus den Erfahrungen von Freunden und Bekannten, die bei diesen Aktionen verhaftet wurden, hat er das Stück „Und jetzt bitte direkt in die Kamera“ komponiert. Heute lebt und arbeitet Al Attar in Beirut im Exil.taz: Herr Attar, was macht ein Künstler und Intellektueller, wenn sich das eigene Volk erhebt? Versucht er, die Distanz zu wahren, um unparteiische Autorität zu bleiben, oder stürzt er sich mitten hinein ins Getümmel – ungeachtet der Gefahr, dass die eigene künstlerische Tätigkeit sich als sehr klein gegenüber den alltäglichen Entwicklungen erweisen könnte? Mohammad Al Attar: Manche Leute sagen tatsächlich, dass man eine Distanz braucht und sich zu laufenden Ereignissen nicht äußern kann. Ich bin damit aber nicht einverstanden. Man muss den Moment festhalten. Es ist doch ein großer Vorteil, dass man jetzt die außergewöhnliche Erfahrung machen kann, wie solch ein Transformationsprozess abläuft und wie er einen selbst verändert, auch als Künstler. Es hat einfach Auswirkungen, wenn man mit Tausenden auf der Straße steht und gegen Assad schreit. Und wenn viele diese Erfahrung machen, ändert dies die gesamte Gesellschaft. Ich habe Respekt für die, die die Distanz einhalten, aber ich glaube, sie verpassen eine große Möglichkeit. Ihr Vorschlag lautet also: Künstler, springt hinein in den Ozean der Revolution und lernt dabei auch auf neue Art zu schwimmen? Das ist sehr poetisch und dramatisch ausgedrückt. Es geht aber manchmal auch einfacher. Mich interessiert, wie die politischen und gesellschaftlichen Veränderungsprozesse sich auf das Leben des Einzelnen auswirken, was auch im Alltag sich verändert. Als Dramatiker untersuche ich zum Beispiel, wie sich der verstärkte Gebrauch von Facebook und Twitter in der Sprache niederschlägt. Dieser Blick aufs Private und Individuelle im Zuge des politischen Wandels hat Sie auch bei Ihrem aktuellen Stück geleitet? Ja. Ich war sehr beeindruckt von den Menschen, die aus dem Gefängnis herauskamen, wie stark und kraftvoll sie waren. Sie hatten schreckliche Dinge erlitten, aber ich hatte den Eindruck, dass sie stärker und reifer daraus hervorgekommen sind. Und da hat mich interessiert, wie sie mit ihrer Situation umgegangen sind, was sie im Gefängnis gemacht haben, was sie gedacht und geträumt haben, womit sie sich beschäftigt haben, wenn sie nachts einschlafen wollten. Ich dachte mir, wir müssen das dokumentieren und mehr Leute erreichen, in Syrien und außerhalb. Wie ist die Situation im Lande jetzt? Können Sie das von Beirut aus verfolgen? Mir geht es wie vielen anderen Syrern, die aus dem Lande geflohen sind: Man ist zwar physisch nicht mehr da, aber in seinen Gedanken und Gefühlen lebt man immer noch dort. Ich habe täglichen Kontakt mit meiner Familie in Damaskus. Ich kann sagen: Die Vision, die die Mehrheit der Syrer für ihr Land hat, ist im Kern immer noch die der ersten Tage: eine freie demokratische Gesellschaft. Aber die Situation ist komplizierter geworden, weil noch Akteure aus anderen Ländern hinzugekommen sind. Der Iran ist mit dem Regime verbunden, die Gotteskrieger sind hier, al-Qaida. Die Revolution ist überlagert von den Nachrichten der Politik dieser anderen Akteure. Ist dies ein mediales Zerrbild? Zum Teil tatsächlich. Medien sind immer besessen von Skandalen und den allerhässlichsten Szenen. Wir, die wir an die Revolution glauben, sollten solche brutalen Phänomene auch nicht negieren. Aber die Frage ist doch, wer kann überrascht sein von der zunehmenden Radikalisierung? Oder davon, dass Leute, die zu Beginn für einen demokratischen Staat kämpften, nun völlig vom Töten der Gegner absorbiert sind? Die Radikalisierung ist eine Reaktion darauf, dass man sich verraten fühlt von der Weltöffentlichkeit. Keine Hoffnung also? Doch. Ich bin optimistisch. Es ist zwar noch ein langer Weg. Ich weiß auch nicht, ob unsere Generation erleben wird, dass sich unsere Ziele erfüllen. Aber der Wandel hat begonnen.