: Möbel und Jobs für einen Euro
AUS ISERLOHN GESA SCHÖLGENS
„Schrankwand, gebraucht: 1 Euro“ steht auf dem gelben Preisschildchen. „Der Schrank ist nicht das allerneueste Modell und hatte auch einen Kratzer. Aber die Stelle haben wir ausgebessert“, erklärt Thomas Herzog. Der große Mann mit dem Stoppelschnitt und der Bomberjacke ist Geschäftsführer des Second-Hand-Ladens „Möbel & Mehr“, der Montag vergangener Woche in Iserlohn seine Pforten öffnete.
Der Laden ist nicht nur deshalb etwas Besonderes, weil dort Menschen mit geringem Einkommen billige Möbel kaufen können. Auch das Personal ist etwas anders. Bei Möbel & Mehr setzt es sich zusammen aus insgesamt 57 Ein-Euro-Jobbern, die jeweils dreieinhalb Tage die Woche arbeiten. „Wir haben alles dabei“, sagt Herzog, „einen Mann, der frisch aus dem Gefängnis kommt, einen ehemaligen Obdachlosen, der hier integriert werden soll, und Migranten, die Deutsch lernen sollen.“
Herzog sitzt in dem kleinen Büro des Ladens und nippt an seinem Kaffee. Auch körperlich Versehrte arbeiten im Verkauf und in der Schreinerei, darunter ein Tischler mit Bandscheibenvorfall. „Das sind Menschen mit Kenntnissen, die der Arbeitsmarkt nicht mehr will“, sagt Herzog. Andere frischen ihre Fertigkeiten auf oder lernen Neues dazu. Angeleitet von Fachpersonal. „Wichtig für die Leute ist auch ein strukturierter Tagesablauf.“
Es klopft, die Bürotür geht auf: Verkaufsleiterin Ute Becker führt eine Frau mit blonder Dauerwelle hinein. „Was gibt‘s?“ fragt Herzog. „Ich habe einen Marmortisch im Keller, der hat einen Beigeton und ist so 80 Zentimeter breit.“ Die Frau deutet mit beiden Händen die Länge an. „Und eine Ecke ist rausgebrochen. Die Ecke habe ich noch, die müsste geklebt werden.“ Herzog: „Kein Problem, wann sollen wir jemanden zur Besichtigung vorbei schicken?“ Die Frau nennt einen Termin und sagt dann zögernd: „Ich habe da auch noch eine Kiste mit Krimskrams, alten Tassen und so, rumstehen.“ Herzog freundlich: „Die nehmen wir auch mit.“
„Ein echter Hingucker“
Seine Mitarbeiterin Özlem Ahmad schreibt Adresse und Telefonnummer der Kundin auf, die sich zufrieden verabschiedet. Schon klingelt wieder das Telefon. Özlem Ahmad hat alle Hände voll zu tun. Die junge Frau hat beim Arbeitsamt eine Umschulung zur Informatikkauffrau gemacht. „Aber die Firma, bei der ich gearbeitet habe, ist in Insolvenz gegangen, danach war ich ein Jahr arbeitslos.“ Der Job als Koordinatorin macht ihr Spaß, „im Moment ist es noch absolut machbar. Ich hoffe, dass es stressig wird“, scherzt sie.
Im Geschäft sind an diesem Morgen schon viele unterwegs. Eine Verkäuferin misst einen Esstisch aus, eine andere berät eine Kundin bei der Wahl ihrer Frühstücksbrettchen aus zweiter Hand. „Bloß kein Holz nehmen, das ist unhygienisch!“ Jede Ecke der kleinen Halle ist voll gestopft: Couchgarnituren aus Leder stehen neben bestickten Lampenschirmen und rosa lackierten Spiegelschränkchen.
Auf Holzregalen am Ende der Ausstellung gibt es einen kleinen „Trödelmarkt“ mit Geschirr, Krimskrams und kleinen Elektrogeräten. Ein plumpes Plastikbügeleisen trägt die Aufschrift „Funktionsgarantie 3 Tage“. Aber auch haltbarere, selbst restaurierte und deswegen etwas kostspieligere Designmöbel mischen sich unter das Angebot. Ins Auge stechen ein knallorange lackierter antiker Tisch und ein Schuhschrank mit aufgemalten Stöckelschuhen. Dazwischen stehen stabil aussehende Küchenstühle, beklebt mit farbenfrohen Comics oder bepinselt mit Kuhfleckenmuster. Die größte Attraktion ist ein altes Klavier mit zwei eingebauten Aquarien, in denen Wasserpflanzen gedeihen. „Man kann zwar nicht mehr darauf spielen, weil die Tasten defekt sind, aber es ist ein echter Hingucker“, sagt Herzog stolz.
„Qualität hat ihren Preis“
Das „Küken“ unter den Mitarbeitern ist der 18-jährige Sven, der die Kunden betreut. Nach der Schule hat der zierliche, schüchterne Junge keinen Job gefunden. „Die Arbeit macht mir Spaß, ich muss auch Regale auffüllen und sauber halten und aufpassen, dass überall ein Preis drauf steht.“ Sven würde gerne nach Ablauf der sechs Monate weiter im Sozialkaufhaus arbeiten.
Das möchte auch Sebastian Küffner. Der junge Mann mit den schwarzen Dreadlocks und dem Armeeparka steht hinter der Kasse. „Ich habe schon viele Ein-Euro-Jobs gemacht, aber das hier war bisher der Beste“, sagt Sebastian Küffner. Er ist Veranstaltungstechniker, würde sich gerne zum Tontechniker ausbilden lassen. „Aber dafür müsste ich nach Frankfurt ziehen.“
Für längere Gespräche hat er keine Zeit, schon steht die nächste Kundin an der Kasse. Eine Dame mit elegantem Schal hievt eine grün getupfte Porzellanvase auf den Tresen. „Zu uns kommen nicht nur Kunden ohne Geld“, sagt Verkaufsleiterin Ute Becker. Eine von ihnen ist Edelgard Radig. Die Seniorin ist begeistert vom Sozialkaufhaus. „Ich finde die Initiative fantastisch. Sie gibt Leuten ohne Perspektive wieder einen Sinn.“ Sie und ihr Mann haben einen kniehohen Beistelltisch für ihr Wohnzimmer gekauft – für einen Euro. „Wir haben aber fünf Euro gezahlt und den Rest gespendet. Das ist hier so billig, das mag man gar nicht ausnutzen“, sagt Edelgard Radig.
Tibor Hartih hilft den Kunden, die Möbel zum Auto zu schleppen und sorgt dafür, dass die Ware in der Ausstellung gut präsentiert wird. „Es gibt schlechtere Jobs“, sagt Hartih. Der gelernte Tischler war drei Jahre arbeitslos. „Ich habe jeden Tag zu Hause gesessen, mir ist die Decke auf den Kopf gefallen und es ging mir sehr schlecht.“ Die Arbeit gebe ihm und seinen Kollegen neues Selbstbewusstsein. „Ich bin ganz zuversichtlich, wieder eine Arbeit zu finden.“
Für die meisten Möbel gilt: In der ersten Woche kosten sie das, was die VerkäuferInnen festlegen, in der zweiten die Hälfte, und danach einen Euro. „Dafür geht alles irgendwann weg“, sagt Herzog. Er glaubt nicht, dass die Kunden warten, bis die Möbel billiger werden. „Qualität hat ihren Preis. Und den sind sie bereit zu zahlen.“ Für 50 Euro könne man sich hier ein Wohnzimmer einrichten. „Wir nehmen und verkaufen fast alles, was sich in Keller und Garage findet, nur keine Bekleidung, die bringen wir zum Roten Kreuz.“ Allerdings fahren die Mitarbeiter mit den beiden LKW erst zur Besichtigung.
Von den Einnahmen aus dem Design-Möbelverkauf werden die Ausgaben des Geschäfts unter anderem für Material und Benzin gedeckt. Die Möbel tragen das Ecomoebel-Siegel, was bedeutet, dass sie schadstoffarm und von guter Qualität sind.
Hinter zwei Türen wird gehämmert, gesägt und gefräst. In der Schreinerei und im Kreativbereich werden die Möbel restauriert, repariert und umdesignt. Es riecht nach Lack und Holzspänen. Tischler Kevin Schöttler beaufsichtigt insgesamt 15 Kollegen in der Schreinerei. Eine junge Frau pinselt einen großen Esstisch mit blauen und gelben Lackfarben an, zwei Männer schleifen Schränke und Tischplatten mit Schmirgelpapier ab. „Die Faustregel ist, nicht mehr als ein Drittel des Möbelstücks zu erneuern. Sonst gilt es nicht mehr als antik“, erklärt Schöttler. Ansonsten dürfen die MitarbeiterInnen nach Lust und Laune kreativ werden. Eine Schranktür wird mit Bilderrahmen versehen, eine andere bekommt Löcher und Netze und dient als Torwand, in einen Tisch wird eine bunte Posterplatte eingebaut. „Eine unserer Mitarbeiterinnen studiert Design“, so Schöttler, „sie bringt den anderen viel bei.“
Möbel & Mehr, Iserlohn, Leckingser Straße 2, Tel.: 02371-436630