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Archiv-Artikel

„Republik braucht ein Wunder“

Der „Economist“ wettert gegen das Modell Deutschland: Die Löhne seien zu hoch und die Auflagen für die Wirtschaft zu strikt. Nur Reformen würden helfen

Exminister Eichel: „Ich bin das angelsächsische Herumgetrampel leid“

BERLIN taz ■ Es ist gerade mal fünf Monate her, da pries das angesehene britische Magazin Economist die „überraschende deutsche Wirtschaft“ in einer Titelgeschichte: Der Reformeifer und die entschlossenen Sparmaßnahmen in Unternehmen würden für eine neue Blüte der deutschen Wirtschaft sorgen. Das Lob währte nicht lange: Gestern stellte das Magazin den neuen Deutschland-Report vor, der am Samstag erscheint. Titel: „Warten auf das Wunder“.

Das Fazit der Analyse: Deutschland übernimmt die Rolle des europäischen Wachstumsmotors erst wieder, wenn es weiter Reformen angeht. „Das Hauptproblem ist das ‚Modell Deutschland‘ selbst“, sagte Ludwig Siegele. Er ist Autor der Studie und Deutschland Korrespondent des als wirtschaftsfreundlich geltenden Economist.

Siegele fordert, den Arbeitsmarkt stärker zu deregulieren und die Gesetzgebung zu entbürokratisieren. Er ist sechs Wochen lang durch die Republik gereist und hat ein Potpourri an Gründen montiert, warum sich Deutschland blockiert.

Hauptschuldige sind für ihn die einstigen Tugenden der deutschen Wirtschaft: Bis in die Siebzigerjahre habe die Bundesanstalt für Arbeit den Bürgern einen reibungslosen Übergang von einem Job zum anderen garantiert. Jetzt, so findet Siegele, sei die Behörde ein Bürokratiemoloch mit „kafkaesken“ Ausmaßen. Sie herrsche über einen „verknöcherten Arbeitsmarkt“.

Auch das dreigliedrige Bildungssystem sei ineffizient, weil es „nicht das Optimum aus dem Humankapital des Landes herausholen“ würde. Die Einwanderungspolitik beurteilt Siegele ebenfalls kritisch: Sie biete nicht genügend Anreize für qualifizierte ausländische Arbeitnehmer. Politik und Wirtschaft verstärkten die Blockade: Im jetzigen föderalen System hätten die Länder zu viele Mitspracherechte. Die Firmen nähmen zu starken Einfluss auf die Politik und hebelten allzu häufig den Wettbewerb aus. Das zeige der deutsche Strommarkt.

Siegele hat den Report vornehmlich für ein ausländisches Publikum erstellt. „Die Hälfte unserer Leser sitzt in den USA. Typisch ist für uns ist der mittlere Manager in Singapur oder Boston“, sagt er. Die 16-seitige Analyse geht nicht in die Tiefe. Beispiel Arbeitsmarkt: Siegele hält deutsche Löhne für zu hoch und die Auflagen für Unternehmen für zu kompliziert. Er wiederholt damit nur die bekannte Kritik von Neoliberalen.

„Ich bin das angelsächsische Herumgetrampel auf dem deutschen Arbeitsrecht leid“, kritisierte Exbundesfinanzminister Hans Eichel (SPD). „Das amerikanische Modell ist nicht unser Modell.“ Die Sozialabgaben sind in Deutschland zum Beispiel nur deshalb vergleichsweise hoch, weil sie an die Beschäftigung gekoppelt sind. Sie werden anders als in Großbritannien nicht über das Steuersystem finanziert. Und Maßnahmen wie Hartz IV, mit denen soziale Standards abgebaut wurden, haben bislang keine Jobs gebracht. Dies erwähnt Siegele in seinem Report nicht. TARIK AHMIA