: Essen auf dem Flur
KINDERAUFBEWAHRUNG Ab dem 1. August gibt es an 70 weiteren Grundschulen eine Ganztagsbetreuung. Elternvertreter kritisieren den holprigen Start
In Hamburg gibt es vier verschiedene Modelle von Ganztagsschulen:
■ Ganztagsangebote an Grundschulen (GBS): Hier wird eine Betreuung von sieben bis acht Uhr und von 13 bis 18 Uhr angeboten, von acht bis 13 Uhr gibt es an fünf Tagen in der Woche Unterricht. Die Betreuung übernimmt und organisiert ein Jugendhilfeträger.
■ Offene Ganztagsschule: Ganztägige Bildungs- und Betreuungsangebote an fünf Tagen in der Woche bis 16 Uhr, ergänzt um die Zeiten mindestens von sieben bis acht und 16 bis 18 Uhr und in den Ferien. Die Teilnahme an der Betreuung ist freiwillig. Schule organisiert Betreuung.
■ Gebundene Ganztagsschule: Unterricht und Freizeitangebote wechseln sich zwischen acht und 16 Uhr an vier Tagen in der Woche ab. In dieser Zeit ist die Teilnahme für die Schüler Pflicht. Zusätzlich gibt es am fünften Tag Betreuungsangebote sowie vor und nach dieser Kernzeit und in den Schulferien. Die Zusatzangebote sind freiwilllig.
■ Teilgebundene Ganztagsschule: Angebote wie bei der gebundenen Ganztagsschule. Schüler müssen entweder weniger als vier Tage in der Woche in der Kernzeit teilnehmen – oder nur ein Teil von ihnen. Offenes Angebot außerhalb der Pflichtzeit.
VON DANIEL KUMMETZ
Für Schüler, Eltern und Lehrer an 70 Grundschulen in der Stadt gibt es ab dem 1. August eine große Veränderung: Die Schulen werden Ganztagsschulen, es wird Schulessen geben und eine Nachmittagsbetreuung, die allen Kindern bis zur achten Klassen offen steht – unabhängig von der Berufstätigkeit ihrer Eltern. Die Betreuung ist von 13 bis 16 Uhr in der Schulzeit kostenlos – für das Mittagessen und die Nutzung in weiteren Zeiten müssen Gebühren gezahlt werden, die nach dem Einkommen der Eltern gestaffelt sind.
Diese ganztägige Betreuung an Grundschulen (GBS), wie das Programm offiziell heißt, setzen freie Träger um – zum Teil haben sie Erfahrung mit so etwas, weil sie vorher einen Hort betrieben haben. Dass mehr Plätze zur Ganztagsbetreuung geschaffen werden, moniert kaum jemand, dafür gibt es um so heftigere Kritik an der Umsetzung.
„Ich habe ein mulmiges Gefühl, wenn ich an den 1. August denke“, sagt Jörg Gröndahl vom Landeselternausschuss Kindertagesbetreuung (LEA). Es würden viele Schulen mit einem Ganztagsprogramm starten, die gar nicht die Voraussetzungen dafür erfüllten – etwa weil Aufenthaltsräume und Kantinen fehlten oder die Konzepte erst sehr spät entwickelt worden seien und erst jetzt von der Schulbehörde geprüft werden können.
Bisher gibt es 60 Schulen mit GBS-Angebot – ab August wird sich ihre Zahl also mehr als verdoppeln. Es ist ein Großprojekt, das auf Nachfrage trifft: Der Paritätische Wohlfahrtsverband, dessen Mitglieder die GBS zum Teil organisieren, spricht von einer Anmeldequote von bis zu 90 Prozent. Der Sprecher nennt die GBS deshalb einen „großen Erfolg“. LEA-Vertreter Gröndahl bleibt skeptisch: „Es stellt sich die Frage, ob auch diese Schulreform gegen die Wand fährt.“
Schon im April hat der LEA gemeinsam mit der Elternkammer Notfallmaßnahmen gefordert: einen schnelleren Raumausbau, eine bessere Informationspolitik der Schulbehörde und mehr Geld für Inklusion. Denn neu ist an dem GBS-Angebot auch, dass hier Kinder betreut werden, die sonderpädagogische Förderung brauchen. Für diese eine Nachmittagsbetreuung zu organisieren, war vorher sehr schwierig.
Die Linksfraktion in der Bürgerschaft hat die Forderungen aufgegriffen. „Kinder müssen ihr Mittagessen teilweise auf Fluren, in Containern oder Klassenräumen einnehmen, weil keine geeigneten Räumlichkeiten zur Verfügung stehen“, monierte der familienpolitische Sprecher Mehmet Yildiz. Auch sei das Essensbudget von 3,50 Euro pro Tag und Kind zu niedrig, es fehle Geld für Zwischenmahlzeiten.
Wie es jetzt weitergeht, ist nicht ganz klar. „Es wird sich von Standort zu Standort unterscheiden, wie gut das Ganztagsbetreuungsangebot funktioniert“, sagt Gerrit Petrich von der Elternkammer. Bei den schlecht vorbereiteten Schulen werde es ganz schwierig, meint Petrich. „Jetzt wird es wichtig, wo man wohnt“, meint auch Gröndahl. Viel Elternengagement könne Probleme ausgleichen, Schulvereine attraktive Zusatzangebote am Nachmittag finanzieren. Doch beides gebe es vor allem in wohlhabenderen Stadtteilen.
Doch nicht nur Eltern haben Probleme damit, wie die Ganztagesbetreuung umgesetzt wird. Auch von den Mitarbeitern kommt Kritik. „Wir bekommen die Rückmeldung, dass die Stundenzahl für die Erzieher unzureichend ist“, sagt Jens Kastner, Fachgruppen-Sprecher der GEW Hamburg für Kinder- und Jugendhilfe. 20 bis 25 Stunden pro Woche arbeiten die Mitarbeiter der Träger in der GBS. „Das System ist auf teilzeitbeschäftigte Erzieher ausgerichtet“, sagt Kastner. Er hat Zweifel, dass sich zu diesen Konditionen genug Personal finden lässt.
Aus den Mitteln des Senats eine Bezahlung zu finanzieren, die der des öffentlichen Dienstes entspricht, sei schon schwer genug, sagt Kastner. ErzieherInnen aber fehlen im Moment – denn gleichzeitig gibt es andere Vorhaben, bei denen sie ebenfalls gebraucht werden, zum Beispiel beim Krippenausbau. Hier entstünden in der Regel auch die attraktiveren Vollzeitstellen.
Schulsenator Ties Rabe (SPD) hat die Einführung von Ganztagesbetreuung zur Chefsache erklärt. „Ein solcher Ausbau ist natürlich auch mit Provisorien verbunden, das war auch den Schulen vorher klar, als sie den Antrag gestellt haben, Ganztagsangebote einzurichten“, sagt der Sprecher der Schulbehörde, Peter Albrecht. Diese Provisorien würden nach und nach abgebaut. „Der Schulbau Hamburg plant für das Kalenderjahr 2013 die Fertigstellung von bis zu 70 Schulkantinen“, sagt Albrecht.
Personalengpässe wird es laut Schulbehörde nur an wenigen Stellen geben. Außerdem seien derzeit viele Erzieher und sozialpädagogische Assistenten in der Ausbildung. Wenn sie damit fertig seien, werde sich „mittelfristig“ die Lage entspannen. Im Übrigen sei man im „engen und konstruktiven Austausch“ mit den Elternvertretern.