: „Eine gewisse Leichtigkeit sollte es haben“
STADTBILD Manchen ist das ICC zu teuer, andere sehen in ihm ein Wahrzeichen der Stadt. Auch Ursulina Schüler-Witte sieht das so. Sie hat das ICC schließlich geplant
■ Der Name der 1933 geborenen Architektin verbindet sich vor allem mit dem ICC, das Schüler-Witte gemeinsam mit ihrem 2011 verstorbenen Mann entworfen hat.
INTERVIEW RONALD BERG
taz: Frau Schüler-Witte, niemand ist bisher auf die Idee kommen, den Kölner Dom oder die Berliner Staatsoper abzureißen, weil diese Gebäude im Unterhalt zu teuer sind. Beim ICC ist eine solche Forderung offenbar wohlfeil. Hat man den Wert des ICCs in Berlin noch gar nicht begriffen?
Ursulina Schüler-Witte: Es scheint so. Aber warum bekommt das ICC denn jedes Jahr den Preis als bestes Kongresszentrum weltweit?
Heute schielen viele Politiker beim ICC nur auf die Zahlen. Man könnte es aber auch als Wahrzeichen und Baukunstwerk sehen.
So wird es von Bauhistorikern auch angesehen. Die wollen es schon seit Langem unter Denkmalschutz stellen, da sie den Bau als Wahrzeichen der 70er Jahre ansehen.
Die hohen Kosten für Betrieb und eine etwaige Sanierung des ICCs bleiben aber dadurch unberührt. Es wird darüber geklagt, dass der Unterhalt beim ICC zu teuer wäre. Auch könnte angeblich nur ein Bruchteil der vorhandenen Flächen vermarktet werden. Der neue City Cube wäre da günstiger.
Diese Argumente sind völliger Unsinn und von der Messe verbreitet worden, um ausreichend Argumente für den Bau des City Cubes zu erhalten. Das Haus hat vielleicht etwas höhere Betriebskosten als ein gewöhnliches Etagenhaus, sorgt aber für ganz besondere Raumerlebnisse. Vor allem aber: Die Betriebskosten rechnen sich doch! Ich finde es empörend, dass der Senat über jährliche Zuschüsse von Seiten des Landes jammert, die ursprünglich ja vom Land genauso beschlossen worden sind, und zwar im Hinblick auf entsprechende Kaufkraftzuflüsse durch das Kongressgeschäft für die Stadt. Es ist unverantwortlich, nur die Betriebskosten aufzuführen und alles andere, was das Haus für die Stadt leistet, außer Acht zu lassen.
Sie vermuten also, dass die Kostenfrage nur vorgeschoben ist? Was wäre denn der eigentliche Grund dafür, dass man das Gebäude offenbar nicht sonderlich liebt, besonders beim Betreiber der Messe Berlin GmbH.
Bis zum zwanzigjährigen Bestehen des Hauses, 1999, wurde das Haus von der Messe außerordentlich geschätzt. Aber seit dem Wechsel der Geschäftsleitung im gleichen Jahr ist die Sichtweise auf das Haus eine völlig andere. Die Messegesellschaft ist gewinnorientiert. Als Schreckensbild hat die Messe vor Augen, dass sie eines Tages nicht mehr die Zuschüsse des Landes Berlin bekommt und sie dann das ICC selbst bezuschussen muss. Der 2014 eröffnende City Cube als Kongressalternative ist nichts als eine provinzielle Messehalle. Dort kann man das Messe- und Kongressgeschäft sehr viel preiswerter abwickeln. Das ist der einzige Grund, der zählt. Dass das ICC genau für Kongresse zugeschnitten wurde, auf internationalem Niveau rangiert und dem Kongressgast in diesem Haus jeder Wunsch erfüllt wird, das interessiert die Messe nicht. Die macht lieber auf Provinzniveau.
Das Gebäude war damals mit knapp einer Milliarde D-Mark das teuerste in Deutschland.
Wenn man die Argumentation auf die Spitze treiben will, kann man dagegen behaupten, dass das ICC nicht teurer als ein Einfamilienhaus war. Die 850.000 Kubikmeter umbauten Raum kosteten 1.100 Mark pro Kubikmeter. Ein Einfamilienhaus mit 150 Quadratmetern plus Keller für 1.100 Mark pro Kubikmeter kommt etwa auf 650.000 Mark. Also das ICC war nie zu teuer für dieses mit Technik vollgestopfte Haus.
Kann man das ICC eventuell für andere Funktionen umrüsten? Zum Beispiel wurde es schon als Bibliotheksstandort vorgeschlagen?
Das Wertvolle des Hauses ist ja gerade seine Innenausstattung. Wir haben da zum Beispiel die zweitgrößte Bühne Europas drin. Die beiden großen Säle mit 5.000 und 2.500 Plätzen können zusammengeschaltet werden. 50 Prozent sollten ursprünglich über das Kongressgeschäft hinausgehen – etwa mit Bühnen-, Show- oder Kammermusikver-anstaltungen für die Berliner. Beim Bau musste das alles berücksichtigt werden. Das hat sich auch auf die Baukosten ausgewirkt. Aber es gibt eine ungeheuere Flexibilität im Haus. Eine Bibliothek in einem entkernten Haus ist jedenfalls völlig idiotisch. Außerdem hatten wir in unserem damaligen Architektenvertrag zum ICC durchgesetzt, dass jegliche Veränderungen am Hause nur durch uns als Architekten durchgeführt werden dürfen. Dieses Recht habe ich vor ungefähr einem Jahr an das Land Berlin zurückgegeben. Ich habe ja kein Büro mehr. Aber ich möchte nach wie vor eingeschaltet werden, falls Umbauten oder Veränderungen am ICC geplant werden. Denn ich bin ja nach wie vor Inhaberin der Urheberrechte.
Wenn man sich das ICC ansieht, dann denkt man sofort an ein Raumschiff, das gerade eben eingeschwebt ist. War das Absicht?
Nein. Das ist die Fantasie des Betrachters.
Wie kamen Sie dann aber auf diese technoide Formen?
Die Form ergibt sich aus der Notwendigkeit. Weil dieses Haus auf diesem schmalen Grundstück steht, war der Grundriss vorbestimmt. Statt eines Zentralbaus, wie wir es ursprünglich vorhatten, musste das Haus gestreckt und die Räume übereinander gestapelt werden. Die andere Sache war, dass wir an einer lärmumtosten Stelle bauen mussten. Auf der einen Seite Autobahn und Eisenbahn. Auf der andern Seite der stark befahrende Messedamm. Wir mussten also den Bau vor dem Lärm schützen. Das konnten wir nur, indem wir eine Haus-im-Haus-Konstruktion geschaffen haben. Die Ebenen der beiden großen Veranstaltungssäle ruhen über großen Stützen auf Neoprenpuffern. Und das Dach lagert auf den Treppenhäusern, so dass kein Körperschall in das Haus kommt. Weder von Flugzeugen noch von der Straße. Und das ergab die Form: Die beiden Säle werden in der Mitte dargestellt. Was sich herausschiebt, ist vorne der Verwaltungstrakt mit Restaurant und hinten das Parkhaus. Was innen stattfindet nach außen darzustellen, das war immer unser Credo.
Das Blechkleid macht das Gebäude sehr cool und technoid.
Es sollte eine gewisse Leichtigkeit haben, das hat es durch die Lamellen bekommen. Dadurch wird eine abweisend geschlossene Wand vermieden. Aber leider hat es die Messe seit Jahren unterlassen, die Fassade regelmäßig zu reinigen, so dass das Haus einen möglichst abrissreifen Eindruck macht.
Aber außen herum sollte ja ursprünglich auch noch etwas hinzukommen.
Ja, auf der anderen Seite der Kantstraße ein Hotel als Hochhaus, direkt angeschlossen über Brücken. Eigentlich gehört zu einem Kongresszentrum auch ein Hotel. Das Land wollte damals, dass das privatwirtschaftlich finanziert würde. Es gab aber keinen Interessenten.
Wie, meinen Sie, wird es weitergehen beim ICC?
Die Messe will das Haus loswerden, weil sie mit ihren City Cube Posemuckel spielen will.
■ Die Zukunft des Internationalen Congress Centers (ICC) ist weiter offen. Seit Jahren werden vom jeweiligen Senat Gutachten in Auftrag gegeben, um Lösungen für Sanierung, technische Modernisierung und eine längerfristige wirtschaftliche Nutzung des 1979 eröffneten Baus zu finden. Bislang ohne konkrete Ergebnisse.
■ 200 Millionen Euro sollten eigentlich für das ICC vom Land ausgegeben werden. Der Zensusschock mit dem sich öffnenden Finanzierungsloch für Berlin macht diese Ausgabe nun wieder fraglich. Eine Sanierung würde angeblich sogar bis zu 330 Millionen kosten. Nachprüfbar ist das nicht. Gutachten werden nicht veröffentlicht. Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU) wollte auch private Investoren mit ins Boot holen und hatte dazu bereits eine europaweite Ausschreibung gestartet.
■ Derweil schafft die landeseigene Berliner Messegesellschaft mit dem Bau des City Cubes an der Stelle der Deutschlandhalle schon mal Tatsachen. Die neue Halle soll ab 2014 das bisher von der Messe betriebene Kongressgeschäft des ICCs übernehmen. Angeblich nur, bis das ICC saniert ist.
■ Nun stellt sich Ursulina Schüler-Witte, die gemeinsam mit ihrem Mann Ralf Schüler das ICC geplant hat, vor ihren Bau, der doch für mehr nutzbar und mehr wert sei als nur für eine Ehrenrettung. Mit ihrem Mann hat Ursulina Schüler-Witte auch den futuristischen Bierpinsel in Steglitz und die Mahnmale für Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg im Tiergarten entworfen. (berg)
Dann müsste es ja jemand anderes betreiben.
Aber die Messe will sich ja keine Konkurrenz in die Stadt holen! Sie macht mit dem City Cube das Kongressgeschäft und lässt die vielen anderen Möglichkeiten des ICCs brachliegen, anstatt es dafür zu nutzen, wofür es gebaut worden ist. Zwei Dutzend verschiedene Veranstaltungsarten wären hier möglich.
Könnte man denn das ICC überhaupt profitabel betreiben?
Ekkehard Streletzki mit seinem Estrel Convention Center im tiefsten Neukölln hat bewiesen, was möglich ist. 1.600 Veranstaltungen finden dort jährlich statt. Aber er hat eben auch ein Hotel dabei. Es gäbe diese Möglichkeit auch beim ICC, wenn man das marode Parkhaus Süd abreißen würde. Ein Hotel an dieser Stelle mit direktem Zugang zum ICC wäre ideal. Die Großform des ICCs müsste natürlich gewahrt bleiben. Das Parkhaus ist ohnehin kaum benutzt. Die Kongressisten kommen meist mit Flugzeug und Taxi. Auch das existierende Zufahrtsgeschoss von der Autobahn im Kellergeschoss des ICCs ließe sich für eine andere Nutzung umbauen.
Fühlen Sie sich in der Lage, selbst noch einmal Pläne auszuarbeiten?
Momentan bin ich mit einem Buch über das Gesamtwerk meines Mannes und mir beschäftigt. Zweitens habe ich kein Büro mehr. Nicht mal eine Zeichenmaschine.
Gäbe es für eine solche Aufgabe andere geeignete Architekten?
Ich könnte mir welche vorstellen.
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