: Nelken vor der Revolution
GEDENKEN Demonstranten legen Nelken am Taksimplatz nieder. Die Polizei antwortet mit Wasserwerfern, Reizgas und Gummigeschossen
ISTANBUL taz | Mit chemischen Kampfstoffen, Wasserwerfern, Gummigeschossen und Knüppeln ist die Polizei gegen Demonstranten am Samstagabend vorgegangen. Nachdem sie eine Kundgebung auf dem Taksimplatz aufgelöst hat, kam es auf der Einkaufsmeile Istiklal, den Seitengassen und in den benachbarten Vierteln zu stundenlangen Auseinandersetzungen. Es gab Festnahmen und Dutzende Verletzte. Auch in Ankara wurde eine Kundgebung gewaltsam aufgelöst.
10.000 Menschen waren auf den Taksimplatz gekommen, um Nelken niederzulegen und der fünf Menschen zu gedenken, die während des Gezi-Aufstands ums Leben gekommen waren. Aufgerufen hatte die „Taksim- Solidarität“, ein Zusammenschluss verschiedener Gruppen. Eine Woche nach der gewaltsamen Räumung des Gezi-Parks war es die erste Kundgebung auf dem Taksimplatz.Gegen 20.30 Uhr rief die Polizei die Menge dazu auf, den Platz zu räumen. Gelang es der Menge zunächst, mit Menschenketten die vorrückenden Sondereinsatzkommandos aufzuhalten, setzte die Polizei daraufhin Wasserwerfer ein. Im Wasser war eine ätzende Chemikalie, die schon bei wenigen Spritzern auf der Haut brennt. Dann flogen vereinzelt Steine.
Immer wieder warfen Menschen Nelken in Richtung der Polizei. Noch Stunden später waren Wasserwerfer zu sehen, an deren Frontgitter rote Nelken angebracht waren.
Zentrum der Auseinandersetzungen war die belebte Istiklal-Straße und deren Seitengassen. Am späten Abend wurden auf der Istiklal Barrikaden gebaut. Ein Mitarbeiter des linken Fernsehsenders Halk TV, der seit Beginn der Proteste live berichtet, wurde von Polizisten angegriffen. In den Räumen der Ingenieurskammer errichteten Helfer ein Lazarett. Später schlugen Polizisten die Fensterscheiben ein und schossen Gaskartuschen ins Gebäude.
Die Meldungen scheinen sich zu bestätigen, dass der Polizei das Pfeffergas ausgeht. Am Samstag schoss sie weniger Pfeffergas in die Menge als in den vergangenen Wochen.
Den Demonstranten warf Ministerpräsident Erdogan vor, „Verrückte in Bikinis“ auf den Taksimplatz zu schicken und das Volk provozieren zu wollen. Ferner sagte er: „Die können eine Million Tweets versenden, eine Basmala von uns macht das alles zunichte.“ Basmala ist die islamische Anrufungsformel, mit der Koransuren und Gebete beginnen. Einige Stunden nach dieser Rede stürmte auf der Istiklal-Straße eine Gruppe von Polizisten mit „Allah, Allah“-Rufen auf Demonstranten zu. DENIZ YÜCEL