: Lebensform Sonnenstudio
Daniela Seel ist mit ihrem Verlag Kookbooks ein Shootingstar unter den jungen Verlagsgründern. Jetzt ist sie von Hessen nach Berlin umgezogen – und eröffnet heute ihr neues Laden-Wohn-Lokal
VON BRIGITTE PREISSLER
Das Regal misst 2,90 m auf 5,50 m, und Daniela Seel ist bloß 1,60 m groß. Die kleine Klein-Verlegerin steht vor dem riesigen Metallmonster und ist ein bisschen sauer, weil keiner ihrer Autoren beim Aufbauen geholfen hat.
Daniela Seel ist umgezogen. In Idstein im Taunus, wo sie mit ihrem Verlag Kookbooks bislang residierte, packte sie ihre roten Stiefel, die hellblaue Zottelmütze und ihre dunklen Holzmöbel nebst Verlagsausrüstung in ein paar Kisten. Und hier, in der Sonnenburger Straße in Prenzlauer Berg, unweit von Verlagen wie Matthes & Seitz oder Tropen, packt sie alles wieder aus. Sie muss sich beeilen, will sie doch am Mittwoch mit einem kleinen Fest und Lesungen ihr neues Sonnenstudio eröffnen.
Sonnenstudio: So soll ihre Wohn- und Arbeitsstätte heißen, weil das so hübsch zum Straßennamen passt. Aber auch, weil sie dadurch den schlechten Lichtverhältnissen in den Parterreräumen eins auswischen will. Denn wenn es, wie heute, draußen schneit, ist es hier drin so schummrig, dass Fototermine wie unserer vor 16 Uhr über die Bühne gehen müssen.
Und solche Termine hat die 1974 in Frankfurt geborene Verlegerin genug. Sie wird landauf, landab als einer der Shootingstars unter den Verlagsgründern wahrgenommen. Ein wenig beunruhigt sie derzeit der Gedanke, dass begeisterte Medienvertreter ihr bald vollends die Tür einrennen könnten. Daniela Seel hat Sorgen, von denen andere träumen.
Hervorgegangen ist Kookbooks 2003 aus der Berliner Künstlergruppe Kook. Unter diesem Namen schloss sich Ende der Neunzigerjahre ein loses Netzwerk von Musikern, Grafikern, Künstlern und Autoren zusammen, das zunächst besonders im Musikbereich aktiv wurde. Da aber auch irgendjemand all die Texte verlegen sollte, die in diesem Umfeld entstanden – Seel schrieb selbst auch welche –, opferte sie sich. Als gelernte Verlagskauffrau wusste sie, wie das geht, einen Verlag gründen. Sie nahm eine kleine Erbschaft als Startkapital, beantragte beim Arbeitsamt einen Existenzgründerzuschuss und bat den Grafiker Andreas Töpfer, die Buchgestaltung zu übernehmen.
Die Buchhändler sträubten sich am Anfang noch pessimistisch gegen die Bücher ihrer Autoren Jan Brandt, Jan Böttcher oder Steffen Popp: Zu gestylt, zu intellektuell, und dann auch noch so viel Lyrik, nörgelten sie. Seel sah nicht ein, was schlecht daran sein soll, wenn intelligente Bücher gleich mehrere Sinne ansprechen. Töpfer griff also weiterhin die Buchinhalte liebevoll auf, stürzte Titelzeilen, entwarf schmuckvolle Broschuren. Seel machte den ganzen Rest: Lektorat, Vertrieb, Pressearbeit, Programmentwicklung.
Wenn diese fragile Person so zu einem aufschaut, und das muss sie eigentlich zu jedem, dann fragt man sich, warum sie bislang weder unter der ganzen Arbeit noch unter all den Preisen zusammengebrochen ist, mit denen sie und ihre Autoren inzwischen zugeschüttet werden. Letztes Jahr, als Daniel Falb den Lyrikdebütpreis bekam, konnte man noch an ein One-Hit-Wonder glauben. Doch es folgten der Leonce-und-Lena-Preis an Ron Winkler, der Walter-Serner-Preis an Silke Andrea Schuemmer und der Peter-Huchel-Preis an Uljana Wolf. Und auf der Leipziger Buchmesse im März wird Daniela Seel selbst mit dem Förderpreis der Kurt-Wolff-Stiftung geehrt – für ihr „professionelles Engagement“ und ihr „Gespür für literarische Talente“.
Für den Umzug entschied sich Daniela Seel trotz aller Ehrungen auch wegen der niedrigen Lebenshaltungskosten in Berlin – für viele prekäre Existenzen im Kook-Umfeld ist das daseinserhaltend. Auch bei Daniela Seel geht es nicht wirklich hochherrschaftlich her: ein Sonnenstudio-Zimmer – das heizbare – ist zum Arbeiten, eins zum Wohnen und Schlafen gedacht. Im dritten, dem Versand- und Vertriebszimmer, steht das Regal. Auch anderen Kleinverlagen wie supposé, Urs Engeler oder Stroemfeld will sie hier Ausstellungsfläche anbieten, vielleicht einen Jour fixe einrichten. Und trotz der Gefahr, dass die Buchhändler wieder nörgeln, setzt Daniela Seel teilweise auf Direktvertrieb. Wenn sie jedem, der vorbeikommt, selbst ein Buch verkauft, ist sie weniger auf den Buchhandel angewiesen.
Auch wenn sich das bislang anders anhörte: Daniela Seel ist das genaue Gegenteil eines karrieregeilen Workaholics. Kookbooks sei kein Unternehmen im klassischen Sinn, sagt sie, und findet ihre permanente Selbstausbeutung ganz normal. Das Geld zum Leben verdient sie sich als freie Lektorin. Obwohl sie letztes Jahr Schwierigkeiten hatte, die Miete zu bezahlen, bekommt sie schnell diesen angewiderten Gesichtsausdruck, wenn man sich traut, Worte wie „Umsatz“, „Marketing“ oder gar „Gewinnmaximierung“ auszusprechen.
Sie selbst sagt lieber etwas sehr Schönes: Poesie, das sei doch auch eine Lebensform. Ach, wie lange haben wir diesen wunderbaren Satz nicht mehr gehört! Gut, dass der Börsenverein und eine Wirtschaftsförderbank Daniela Seel beharrlich umwerben; ihre Finanzen sind auch nach dem Auslaufen ihrer Ich-AG gesichert. Und an Kraft, den Literaturbetrieb noch eine Weile aufzumischen, fehlt es ihr sowieso nicht. Aber mit dem Regal hätte ihr ja trotzdem mal einer helfen können.
Sonnenstudio-Eröffnung heute Abend ab 20 Uhr, mit Lesungen von Johannes Jansen und Uljana Wolf, Sonnenburger Straße 65, Prenzlauer Berg