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Archiv-Artikel

Die ganz große Ökumene

NOTHILFE Neben christlichen Einrichtungen kümmert sich in Borgfelde auch eine muslimische Gemeinde um die obdachlosen Flüchtlinge aus Afrika. Die Finanzierung können die Sunniten kaum allein stemmen

Die Entscheidung, für die Flüchtlinge aus Libyen zu kochen, trafen die Gläubigen der Barmherzigkeitsmoschee in Borgfelde bereits im April. Damals fiel einer der Männer, die über Italien nach Hamburg kamen und seitdem hier auf der Straße leben, in Ohnmacht – im Gebetsraum. „Vor Hunger“, sagt Ali Awudu, der die Protokolle für den muslimischen Verein schreibt. „Es kann nicht sein“, findet er, „dass hier in Deutschland jemand umkippt.“

Awudus „Masjid Rahma“ ist eine sunnitische Gemeinde mit 100 bis 150 Mitgliedern. Viele der Gläubigen stammen aus Nigeria, Niger, Togo oder Ghana – so wie die rund 300 Flüchtlinge. Von diesen hatten zunächst rund 50 bis 60 ihre Koffer in der Moschee untergestellt. Nachts zögen sie durch die Stadt, sagt Awudu, versuchten im Freien zu schlafen. Denn auf den Teppichen des Gebetsraums dürfen sie nicht bleiben. Schuld ist das deutsche Baurecht: In dem Gebäude war früher eine Kegelbahn untergebracht, deshalb seien Übernachtungen verboten, sagt Awudu. Dafür geben die Muslime seit rund zwei Monaten an jedem Morgen und Abend Essen aus.

Awudu zufolge haben die Gemeindemitglieder bereits rund 15.000 Euro für die Mahlzeiten gespendet. „Eine fast ausweglose Situation zwischen Hilfsbereitschaft und Gefährdung der eigenen Arbeit“, sagt Pastor Kay Kraak von der evangelischen Kirchengemeinde Borgfelde über diese finanzielle Belastung. Er bietet an, Spenden, die seiner Kirche zufließen, an die Sunniten weiterzuleiten.

Im Stadtteil Borgfelde arbeiten Christen und Muslime traditionell eng zusammen, sagt Mathias Benckert von der evangelischen Nordkirche. So unterstützt auch die Borgfelder African Christian Church die Flüchtlinge mit Mahlzeiten: Jeden Dienstag und Samstag verschenkt sie afrikanisches Essen an mittlerweile bis zu 260 Gäste. Pastor Peter Sorie Mansaray sagt, 60 Prozent seiner Gäste seien Muslime. Deshalb kochen er und seine Helfer nur noch mit Hühnchen, nicht mit Schwein. Zuletzt habe er viele neue Gesichter unter den hungrigen Besuchern gesehen hat – Neuankömmlinge aus Italien.

Die Mitarbeiter der Hamburger Essensausgaben für Obdachlose – unabhängig von der Religion ihrer Träger – bemerken seit März immer mehr Gäste aus Afrika. Diese Wanderarbeiter hatten nach ihrer Flucht vor dem libyschen Bürgerkrieg zunächst in italienischen Flüchtlingsunterkünften gelebt. Als die dortige Regierung Anfang des Jahres die Einrichtungen schloss und den Bewohnern europaweite Reisepapiere ausstellte, fuhren viele von ihnen nach Nordeuropa. Hier haben sie kein Recht auf Arbeit, Unterkunft oder medizinische Versorgung.

Die St. Pauli Kirche hat zurzeit etwa 70 Menschen aufgenommen, obwohl der Senat die Männer nach Italien oder in ihre Heimatländer abschieben will. Ein Teil der Flüchtlinge lebt auch in anderen Kirchengemeinden und kirchliche Einrichtungen. Welche das sind, will die Nordkirche nicht bekannt geben. Verhandlungen zwischen Senat, Kirche und Diakonischem Werk über die Versorgung der Menschen waren an der Absicht der Stadt gescheitert, mit einer Unterbringung die Abschiebung einzuleiten.  KRISTIANA LUDWIG