: Das ist kein Jim Beam
Die Berliner Designer Henning Brehm und Jan Hülpüsch entwerfen fiktive Markenprodukte für Film und Fernsehen. Nach dem Skandal um Schleichwerbung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ist die Nachfrage gestiegen
VON JENNI ZYLKA
Montagmorgens bekommen Henning Brehm und Jan Hülpüsch ihre Aufträge rein: eine Biermarke, ein Waschmittel, eine Zahncreme, Milch und ein Buch über Feng-Shui. Montagnachmittag und Dienstag sitzen sie an den Computern in einem alten, schick aufgepeppten Fabrikgebäude in Berlin-Prenzlauer Berg, googeln, assoziieren, spinnen herum, erfinden: „Pecher Pils“. „Frisch Neutral-Reiniger“, „Dentex“. Dienstagabend wird ausgedruckt. Wenn sie zwischendurch mal einkaufen gehen, kann das länger dauern, aus Recherche-Gründen: Henning Brehm und Jan Hülpüsch designen Fake-Markenprodukte für Fernseh- und Filmproduktionen. Damit „GZSZ“ nicht etwa auch noch wegen Schleichwerbung verklagt und aus dem Programm genommen wird. Damit der Held im Agententhriller „Die Bourne-Verschwörung“ durch einen russischen Supermarkt hechten kann, in dessen Regalen kistenweise russische – oder russisch aussehende – Produkte stehen. Und damit das totalitäre System in der gerade auf der Berlinale antretenden Hollywood-Comicadaption „V for Vandetta“ ein eigenes Logo hat: Ein senkrechter Strich mit zwei waagerechten Linien. Ein bisschen sieht es aus wie ein nicht ganz fertig gewordenes Noten-Vorzeichen.
Die beiden Grafiker haben sich 2002 mit ihren Agenturen „Last Minute Design“ und „Schein Berlin“ zusammengetan und nutzen die Synergieeffekte: Wenn dem einen vor lauter Snacks und Choc-Choc-Chips gerade mal kein schöner Müsliname einfallen will, muss der andere ran. An die Ausstattung der RTL-Daily-Soap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ sind sie eher zufällig geraten. Der 31-jährige gebürtige Hamburger Henning Brehm arbeitete als Webdesigner und Grafiker, er lernte den sieben Jahre älteren Berliner Hülpüsch in der Werbeabteilung einer Tageszeitung kennen. Ihr Geschäft brummt, auch schon vor der dringend nötigen Diskussion über verbotenes Product Placement im Fernsehen – die Nachfrage nach absichtlichem Etikettenschwindel ist daraufhin gewachsen, und auch die neue EU-Verordnung (siehe Kasten) hat daran noch nichts geändert.
Trotzdem muss man die im gelb-rotbraunem Rave-Design gehaltene „Spin Cola“-Dose später in der mauen Billig-Serie eher erahnen, denn der ungelenke GZSZ-Darsteller, der sich in der Szene – mal wieder – mit seiner Filmfreundin streitet, hält die Dose so, dass das Etikett kaum zu erkennen ist. Genauso schwierig ist es, einen Blick auf die Cover der Magazine mit Namen wie „Men’s Health“, „Yummy“ oder dem bestimmt aufregenden Anglerblatt „Fisch & Co.“ zu erhaschen, die im Serien-Set „Redaktion“ im Hintergrund liegen oder im Set „Café“ an den Leseholzstäben baumeln. „Der größte Spaß ist es sowieso, die Sachen zu entwickeln“, sagt Hülpüsch und grinst: „Man darf nicht heulen, wenn man davon nichts sieht.“ Er ist dünn, hat kurze, demnächst graue Haare, redet viel, schnell und mit starkem Berlinflair, und hat einen soliden Humor. Daily Soap ist das „daily bread“ der Designer, sagt er. Die Entwürfe sind in null Komma nichts gemacht – Brehm gibt auf seiner Homepage zwischen 20 Minuten und einer Stunde als Arbeitszeiten für Magazintitel, Plakate, Packungen und Etiketten an. Die falsche Warenwelt sieht trotzdem so echt aus, dass man sich manchmal nicht sicher ist, ob man die Flasche „Pecher Premium Pilsner“ – in Grün-Gold und mit schickem Fantasie-Siegel – nicht schon mal gepichelt, den „Brut de Cornet“- Champagnerkorken nicht hat knallen und die „Luxy“-Glühbirne nicht irgendwo reingedreht hat. Und die ausgedachten Namen werden von ihren Erfindern, im Gegensatz zu den echten, nicht geschützt – wenn also jemand demnächst noch ein überflüssiges Lifestyle-Magazin namens „Yummy“ auf den überfüllten Markt werfen wollte, dann müssen Brehm und Hülpüsch den Titel aus ihrem Repertoire nehmen.
„Eigentlich vermeiden wir es, Sachen nachzumachen“, erklärt Brehm. Bis auf wenige Ausnahmen – zum Beispiel das froschgrüne Reinigungsmittel „Frisch“ mit dem Stinktier im Logo, das eindeutig dem angeblich wenig umweltschädlichen „Frosch“-Reiniger nachempfunden ist – entwickeln die beiden ihre Etiketten so originär wie möglich. Farbgebungen (Blau-Silber für den „Vodka Korol“, zartes Hell-Badezimmerblau für das „Hydro-Shower“-Gel) und Schrifttypen sind natürlich produkttypisch – ein russischer Billigwodka mit rosafarbenem Schreibschriftzug würde höchstens ein paar auf Alcopops gepolte Internatsmädchen neugierig machen. Bei den Fremdsprachen, wie auf den beliebten Weinetiketten, greifen die beiden auf bekannte Unterzeilen („Mis en Bouteille …“) und ihre eigenen Kenntnisse zurück, und hoffen, dass sie sich nicht Ver-Radebrechen und kein Weingourmet empörte Zuschauerbriefe schreibt. Henning Brehm spricht und liest sogar einigermaßen gut Russisch, trotzdem hat er bei jenem russischen Supermarkt für die in Babelsberg gedrehte internationale „Bourne“-Produktion aus Versehen einen speziellen Leckerbissen auf die kyrillischen Angebotstafeln hinter die gefakte Fleischtheke gepinnt: „Ich hatte einfach verschiedene Fleischtypen aus dem Russischlexikon abgeschrieben, Schweinebauch, Schweineohr, Schweinefuß. Und eben auch Schweinepest …“ Aber es hat sich kein Fleischfresser beschwert. Auch Filmtitel erfindet Brehm, zum Beispiel für eine Szene aus „V for Vendetta“, in der Filmplakate im Schrein des Maskenhelden hängen: „The Salt Flats“ kann man da lesen, vielleicht ein Sequel zu „Salz auf unserer Haut“, und den fiktiven Liebesfilm „The Viscount’s Wife“ hat er erfunden, das klingt wie eine Erotikschnulze mit Nonnen. Für den „Untergang“ hat die Agentur Briefpapier mit Hakenkreuzen bedruckt, für die neue Soderbergh-Produktion „The Good German“ mit George Clooney hat Brehm eine ganze Straßenzeile im Nachkriegsberlin mit Schildern ausgestattet: Kohlen, Kartoffeln, Hotel, alles im blechernen 40er-Look, staubig, kaputt und möglichst real.
Brehm ist leidenschaftlicher Design-Fan. Unter www.design-souvenirs.de stellt er seine Lieblingsproduktdesigns aus. Er hat sie auf Reisen gesammelt: putzige Schwarzwaldmädel auf Spätzlepackungen und chinesische Comicart auf Reisnudeln.
Das Blitzentwerfen kommt dem „Design-Touristen“ entgegen. „Mein Traum wäre es ja, als Kunstaktion mal mit den ganzen falschen Produkten einen Supermarkt auszustatten“, sagt der dunkelhaarige Hanseat. Das Geschirrspülmittel „Jux“, das Waschmittel „altril“, der Schmerzlöser „CC rapid“ und ein paar Paletten „Quarkina“. Und an der Kasse lägen „Morgenecho“ oder der „Tagesanzeiger“, die von Brehm für die aktuellen Fernsehproduktionen zwar in den Überschriften ständig erneuert und angepasst werden – „politisch darf man natürlich nicht sein, aber ein bisschen aktuell schon“ – , dessen „Blindtext“, der Platzhalter für die echten Artikel, aber immer die gleichen, irgendwoher kopierten alten Storys sind – auch Zeitungen werden immer nur kurz ins Bild gehalten. Die Bilder, die Brehm und Hülpüsch benutzen, sind rechtefrei, das bedeutet, dass Fotograf oder Agentur keine Honoraransprüche mehr stellen können, die Modelle ohnehin nicht. Außerdem arbeiten die beiden mit dem Fotografen Daniel Porsdorf zusammen, der für die gegenüberliegenden Make-up-Schule Models ablichtet, deren Gesichter dann quasi als Ernstfalltraining auf nicht existenten Magazinen lächeln. Dass das Fake-Marken-Designen – vielleicht im Gegensatz zum echten Marken-Designen – so schnell und leicht geht, darüber muss man sich nicht wundern. „Man hat so unfassbar viele Marken im Kopf“, sagt Hülpüsch. „und das schnelle Designen nivelliert auch den Wunsch, ein echtes Bieretikett zu machen – ich hab ja schon ungefähr 20 gemacht!“. Persönlich beklebte Sektflaschen oder Bonbonschachteln könnten Brehm und Hülpüsch ihren Freunden natürlich jederzeit nebenbei basteln. Aber „mehr als einmal kann man das nicht anbieten“, sagt Brehm. Sonst heißt es gleich wieder: Typisches Designergeschenk.