: Unterwegs in die Zukunft
5-STERNE-BEWEGUNG Beppe Grillo, Dario Fo und Gianroberto Casaleggio sprechen auf einem imaginären Spaziergang von Athen nach Piräus über die erste Demokratie in Athen und die Demokratie der Zukunft
Endlich outen sollten sie sich, die italienischen TV-Journalisten – jedenfalls wenn es nach Beppe Grillo geht, dem Übervater des „M5S“, der „5-Sterne-Bewegung“, die Italiens politische Landschaft spätestens seit den Wahlen im Frühjahr 2013 umgestaltet hat. Grillo lud die Medienmacher des Landes – das sich, was die Informationsfreiheit angeht, global abgeschlagen auf Platz 69 wiederfindet – kürzlich dazu ein, sich wie Kronzeugen der Mafia zu ihren Untaten zu bekennen: In erster Linie dazu, dass sie die erfolgreichste politische Bewegung Italiens planmäßig und aus Angst um den eigenen Arbeitsplatz diffamierten und kleinredeten.
Das ist natürlich starker Tobak, wie eigentlich alles, was von Grillos Blog – der gleichzeitig auch das zentrale Kommunikationsorgan der Bewegung ist – in die Öffentlichkeit geblasen wird; und zwar gerade seitdem bei den jüngsten Kommunalwahlen die Begeisterung der Wählerinnen und Wähler für die „Grillini“ deutlich abgenommen hat.
Wer Grillos Vorwurf, man könne sich durch „die Medien“ kein wahrhaftiges Bild des M5S machen, einfach mal ernst nimmt, hat nun auch als deutscher Leser die Gelegenheit, sich Grillos Gedanken unverfälscht zu Gemüte zu führen. „5 Sterne. Über Demokratie, Italien und die Zukunft Europas“ heißt das im Tropen Verlag erschienene Gesprächsbuch, eine fingierte Reise durch Griechenland auf den Spuren Lukians von Samosata. Teilnehmer sind neben Grillo Nobelpreisträger Dario Fo, der wie auch sein Sohn Jacopo seit Langem mit dem M5S sympathisiert, sowie der Mastermind der Bewegung, Gianroberto Casaleggio.
Man muss vor allem ihm, dem hierzulande Unbekannten, dem Internetaktivisten und E-Commerce-Manager zuhören, wenn man wissen will, was die Vision des M5S ist: Grillo gefällt sich als Stichwortgeber für praktische Lösungen und als Vertreter einer konservativen Migrationspolitik, Fo erzählt mal schöne Anekdoten, mal Problematisches, etwa bei seinem Loblied auf die Amischen, und besteht auf dem Primat des Individuums.
Casaleggio sieht die Welt, nicht zuletzt infolge des Klimawandels, am Abgrund. Für das Kapital sei die Demokratie nur noch ein Klotz am Bein, es wolle „einen anderen, schnelleren Rhythmus und keine Regeln“. Es geht um radikale Gesellschaftsveränderung, denn – Stichwort Energiewende – „auch wenn du heute unendlich viel Energie zu geringen Kosten zur Verfügung hättest, möchte das Kapital dennoch aus dieser unerschöpflichen Energie Gewinn ziehen, und folglich würde sich nichts ändern. Man muss die Gesellschaftsstrukturen verändern, nicht die Dynamik der Energieverwendung.“
Wer soll das leisten? Die kollektive, die „Schwarmintelligenz“ in einer total vernetzten Welt, in der jeder Gegenstand über eine eigene Intelligenz verfügen wird, die „mit uns interagieren kann“. Die Abgeordneten in den kommunalen und nationalen Parlamenten haben die Funktion von „Wächtern“, die sich auf keine Kompromisse einlassen dürfen. Dass diese Strategie zur großkriminellen Koalition zwischen Demokratischer Partei (PD) und der Berlusconi-Bande (PdL) führen würde, hätte man auch schon wissen können, als das Buch in Italien kurz vor den Wahlen Ende Februar erschien.
Man erfährt viel aus diesem unbedingt lesenswerten Buch, viel nicht zuletzt über italienische Denktraditionen, wo der lebendige Rückbezug auf die attische Demokratie, futuristische Fortschrittsbegeisterung und die Verteidigung des Mittelstandes sowie einer lokal und hochwertig organisierten Nahrungsmittelherstellung übergangslos zusammengehen. Und absurder als die bisher erprobten und von „den Medien“ zumeist als alternativlos dargestellten Mittel zur Lösung der europäischen Krise, insbesondere die Austeritätspolitik, scheinen die meisten der hier versammelten Vorschläge auch nicht. Falls die drei Herren bei ihrem nächsten Spaziergang noch eine migrantische Italienerin und einen Menschen unter 30 mitnehmen, werden gewiss noch mehr Funken sprühen.
AMBROS WAIBEL
■ Beppe Grillo, Gianroberto Casaleggio, Dario Fo: „5 Sterne. Über Demokratie, Italien und die Zukunft Europas“. Aus dem Ital. v. C. Ammann et al. Klett-Cotta, Stuttgart 2013, 237 S., 16,95 Euro