: Der Billardsalon wird zur Bühne
Mitten in Prenzlauer Berg eröffnet heute das Ballhaus Ost. Das kleine Theater will offen sein für Impulse aller Art. Auch eine Galerie ist Teil des Konzepts. Zum Gründungsteam gehört Schaubühnen-Star Anne Tismer. Für sie ist das Ballhaus ein Stück Selbstverwirklichung
von Katrin Bettina Müller
Bloß nicht die Energie des Anfangs verpuffen lassen. Bloß nicht über den Mühen von Antragstellung und Geldbeschaffung das Ziel aus den Augen verlieren. Das Ziel ist, ein neues Theater in Prenzlauer Berg zu etablieren. Die erste Etappe auf dem Weg dahin haben der junge Regisseur Philipp Reuter, die Schauspielerin Anne Tismer und zwei weitere Mitspieler erreicht: Heute Abend steht Tismer zur Eröffnung des Theaters Ballhaus Ost in Fassbinders „Ehe der Maria Braun“ auf der kleinen Bühne. Regie führen Philipp Reuter und Uwe Moritz Eichler.
Der Vorlauf war unheimlich kurz: Erst im September 2005 lernten sich die neuen Theatermacher kennen, im November suchten sie schon Räume, und jetzt geht’s los. „Alles ist hier eigentlich nur drei Telefonate weit entfernt“, sagt Philipp Reuter mehrmals beim Rundgang durch die neuen Räume, und einmal meint er damit die Scheinwerfer, die zwei Wochen vor der Premiere noch fehlten. Er zeigt auf die Stangen, die in dem alten Ballsaal in der Pappelallee unter der Decke für die Beleuchtung angebracht wurden.
Die Beleuchtung ist gleich auch ein gutes Beispiel für das Vertrauen, mit dem er das Projekt startet. Der erste Kostenvoranschlag für das Beleuchtungssystem, erzählt er, bewegte sich zwischen 50.000 und 90.000 Euro; die jetzige Konstruktion hat der technische Direktor – umsonst – entworfen und ein Statiker – umsonst – berechnet. Ergebnis: Die Materialkosten liegen jetzt unter 500 Euro.
Philipp Reuter ist neu in Prenzlauer Berg. Der junge Regisseur, 1977 geboren, kam vor einem halben Jahr aus Bochum nach Berlin. Er kann hemmungslos schwärmen vom kreativen Potenzial der Stadt. Zum Beispiel wenn er über seine erste Inszenierung in Berlin, ein kurzes Stück von Uwe Moritz Eichler, berichtet. Als es darum ging, Besetzung und Team zusammenzustellen, konnte Reuter gleich in der Kneipe beginnen. „Da vorne, am Tresen, sitzt eine Bühnenbildnerin“, sagte jemand; nach nur zwei Tagen waren alle Mitarbeiter zusammen. Alles ist eben nur drei Telefonate weit entfernt. Je länger man Reuter zuhört, desto mehr glaubt man das. Vierzehn Tage dauerten die Proben damals. Zu der Aufführung in einem Keller kam auch Anne Tismer – und interessierte sich für eine gemeinsame Arbeit.
Anne Tismer, zuletzt viel gerühmt für ihre Darstellung der „Nora“ an der Schaubühne, ist die Bekannteste im Team. Und natürlich will jeder wissen, was dieses überraschende Engagement für ein neues Theater für das große Haus Schaubühne bedeutet. Verabschiedet sich jetzt nach Choreografin Sasha Waltz noch ein Star in die freie Szene? Tismer schweigt einen Moment. Dann zählt sie die Stücke auf, in denen sie dort bis Juni weiter zu sehen ist: „Nora“, „Würgeengel“ und „Wunschkonzert“. Aber auf Fragen über ihr Verhältnis zur Schaubühne und zu ihrer Arbeit dort geht sie nicht weiter ein.
Viel lieber malt sie ausführlich aus, welche losen Enden aus ihrem bisherigen Leben als Künstlerin sie im Ballhaus Ost wieder stärker zu verknüpfen gedenkt. Seit den Tagen ihres Schauspielstudiums hat auch sie die bildende Kunst nie ganz losgelassen. Das sei für sie oft eine Möglichkeit gewesen, dem Stoff eines Stücks und der Energiekurve der Proben noch mal aus anderer Perspektive zu begegnen. Drei Jahre lang suchte sie zusammen mit der Künstlerin Bianca Schönig aus Hamburg nach der Möglichkeit eines gemeinsamen Projekts. Das wird jetzt die Galerie im Ballhaus sein.
Letztes Jahr tanzte Anne Tismer in einer Produktion von Constanza Marcras, „Big in Bombay“, mit. Damals habe sie sich wieder an ihre Anfänge im freien Theater erinnert. Sie begann, sich nach der Motivation und Selbstständigkeit der Akteure dort zu zurückzusehnen. Und dann ist da noch ihre Begeisterung für das Theater von Laien – für Schülertheater zum Beispiel – und für deren Konzentration und Ernsthaftigkeit.
Ihre Suche nach einem neuen Weg wirkt, als ob das ganze Wissen, das sie in ihrer Theaterkarriere erworben hat, zum Ballast geworden wäre. Ein Methodenwechsel steht an. Das alles sind für sie Motive, die Weichen für ihre eigene Arbeit noch einmal umzustellen und sich in das Abenteuer einer Neugründung zu werfen.
Das Schwierigste für die Theatergründer war, einen geeigneten Raum zu finden und einen Vermieter, der sich auf das Experiment einlässt. Das Ballhaus Ost in der Pappelallee 15 kommt nun allen wie ein Glückstreffer vor. Die kleine, über hundert Jahre alte Backsteinhalle diente in ihrer Geschichte schon als Stätte religiöser Feste, als Kino, Gaststätte, Billardsalon und zuletzt als Club mit dem Namen „Liza Lounge“. Auf der Empore soll wieder eine Lounge entstehen, erläutert Reuter beim Rundgang; eine kleine Bar dockt an den Theatersaal an. Im Vorderhaus sind Büros und die Galerie untergebracht. Zudem will man eine Etage als Ateliers an Künstler vermieten, die mit der Projektidee verbunden sind.
Bianca Schönig macht das Programm für den Ausstellungsraum. Ein Thema für sie sind die Wertschöpfungsprozesse in der Kunst und in der Wirtschaft. Das Ballhaus Ost verwandelt sich in ihrer Vorstellung in ein großes Kunstversuchslabor, wo sich an jeden Entstehungsprozess gleich Analysen anschließen. Es ist ein sehr selbstreflexives und vielleicht auch witziges Programm, das sie vorhat.
Zum ersten Materialblock gehört ein Zentner Papier, der dem Ballhaus aus Restbeständen des Arbeitsamts geschenkt wurde und der sich nun durch Arbeit verwandeln soll. Bestempelt, nummeriert und an alle verteilt, dient er zunächst der Arbeit, um später zur Dokumentation und Edition zu werden.
Acht Inszenierungen sind für dieses Jahr schon verabredet, darunter auch Gastspiele von bekannten Künstlern wie den Regisseuren Werner Schroeter und Thomas Bischoff. In den drei selbst produzierten Premieren zur Eröffnung ist Anne Tismer gleich zweimal zu sehen, als Schauspielerin und in einem Tanztheater.
Fragt man sie überrascht, wie viel Dinge sie jetzt parallel nebeneinander neu anpackt, dann erzählt sie von ihren Erfahrungen mit Waldorfschulen. Ihre Tochter besucht eine, und ihre ältere Schwester hat eine in Wilmersdorf mitgegründet. Die Energie, etwas aus sich heraus wachsen zu lassen, ohne durch eine Leitung viel vorzugeben, darauf setzt sie. Das erfordert viele Diskussionen und ist zeitaufwändig; am Ende aber, glaubt Anne Tismer, ist der Kraftaufwand besser angelegt als in der Arbeit mit nur einem Regisseur.
Ballhaus Ost, Pappelallee 15. Eröffnung heute, 20 Uhr, mit dem Stück „Die Ehe der Maria Braun“. Weitere Infos unter www.ballhaus.ost.de