: Besser Leben dank Bürokratie
Das Land hat sich den Abbau der Bürokratie auf die Fahnen geschrieben. Vorschriften sollen fallen. Unternehmen nutzen die Chance zum Angriff auf Verbraucher- oder Mieterschutz
VON SEBASTIAN HEISER
Die Landesregierung will entrümpeln. „Die Verwaltungen sind übermöbliert in Nordrhein-Westfalen“, sagt CDU-Fraktionsgeschäftsführer Helmut Stahl. Übermöbliert heißt: Zu viele Aufgaben, zu viele Beamte, zu viele Gesetze. Das Übel heißt Bürokratie und der Abbau von Bürokratie gehört zu den Schwerpunkten im Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Landesregierung.
Am Dienstag hat die Landesregierung beschlossen, dass ein Modellversuch zum Bürokratie-Abbau von Ostwestfalen-Lipppe (siehe Interview unten) auf das ganze Land ausgeweitet wird. Dort werden seit dem Jahr 2003 Wege getestet, die Verwaltungsvorschriften zurückzufahren. Das ist noch nicht der große Wurf, es geht eher um kosmetische Korrekturen. Unter anderem brauchen Firmen jetzt keine Genehmigung mehr, wenn sie im Gewerbegebiet eine Werbefahne hissen wollen. Erleichtert werden auch Genehmigungsverfahren im Straßenbau, Nutzungsänderungen von Gebäuden und die Existenzgründungen aus der Hochschule heraus.
Aber mit Bürokratie sind nicht nur überflüssige Regeln gemeint. Wenn das Wort Bürokratie fällt, kommt es häufig auch von Unternehmen oder Verbänden, die grundsätzlich gegen Eingriffe des Staates in die Wirtschaft sind.
Beispiel Mieterschutz: Bei der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen dürfen die neuen Käufer der Wohnung den Mietern erst nach mehreren Jahren kündigen. Die Landesregierung plant jetzt, diesen Kündigungsschutz deutlich zu reduzieren. Der Mieterbund Nordrhein-Westfalen fürchtet, dass dies noch mehr ausländische Kapital-Investoren ins Land lockt. Die FDP spricht dagegen von einem Beitrag zum Abbau von Bürokratie auf dem Wohnungsmarkt.
Beispiel Verbraucherschutz: Die Europäische Kommission will durchsetzen, dass Lebensmittel, die zu fett-, zucker-, salz- oder kalorienreich sind, nicht als „gesund“ beworben werden dürfen. Auf den Lebensmitteln müsse zudem das volle Nährwertprofil angegeben sein. Im Mai soll das Europaparlament entscheiden. „Gerade gegenüber Kindern und Jugendlichen trägt diese Form irreführender Werbung zu einem unausgewogenen Ernährungsverhalten und Übergewicht bei“, sagt Edda Müller, die Chefin des Bundesverbands der Verbraucherzentralen.
Doch die Industrie wehrt sich: Um klare Vorschriften abzuwenden, haben die Unternehmen die „Plattform Ernährung und Bewegung“ ins Leben gerufen, die unverbindliche Vorschläge entwirft – auch das Land Nordrhein-Westfalen ist hier Mitglied. Der Lobbyverband der Lebensmittelindustrie, der „Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde“ kritisiert die geplante Pflicht zur Verbraucherinformation: Dies sei zu bürokratisch.