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Archiv-Artikel

Die Gezeiten der Gefahr

Mit der Vogelgrippe ist „bei uns“ nun wieder einmal „die Angst“ angekommen – als diffuses Gefühl der Hilflosigkeit, das aber vergehen wird. Weil wir auf diesen Tidenhub der Bedrohung trainiert sind

VON CHRISTIAN SCHNEIDER

Schreck, Panik, Angst, Betroffenheit … da sind sie wieder, die üblichen Stichworte, die turnusgemäß in den Medien aufgerufen werden, wenn es gilt, eine mögliche Katastrophe zu beschreiben. Der Schwanengesang einer derzeit leicht auf Endzeitkatastrophenstimmung zu trimmenden Gesellschaft, die blick- und hoffnungslos durch eine ökonomische Dauerkrise stolpert, schwillt zu voller Lautstärke, wenn ein paar tote Schwäne an den eigenen Gestaden auftauchen. Was zu erwarten war.

Jetzt ist also die Vogelgrippe „bei uns“ angekommen, und jetzt er wird das handelsübliche äußere und innere Katastrophenskript abgerufen. Krisenstäbe, Experteninterviews, wertlose Warnungen an die Verbraucher: Man möge das bitte ernst nehmen, man möge das aber bitte nicht zu ernst nehmen. Erstaunlicherweise übernehmen diejenigen, die von Panik und Angst reden, zugleich den Part der Widerrede, die besagt, zu Angst und Panik sei kein Anlass.

Die TV-Schwenks ins Parlament und in Politikergesichter zeigen: Hier wird ernst genommen. Aber keiner ist panisch. (Hat man jemals panische Politiker gesehen?) Alles läuft so krisenfest gleichartig ab, dass sensible Zeitgenossen wirklich die Krise kriegen könnten.

Die Katastrophe ist – in ihren öffentlichen Ritualen und Repräsentationen – so einförmig und vorhersehbar wie die Wachablösung vorm Buckingham Palace. Was also kann man in Kenntnis dieses Skripts noch prognostizieren? Zum Beispiel Sonderangebote an Geflügel, die von Rentnern, Arbeitslosen und anderen Armen dankbar angenommen werden. Katastrophe als konsumregulierendes Erlebniselement? Kann man sich erst ab einer bestimmten Einkommensklasse wirklich leisten.

In adäquates Verhalten umgesetzte Angst – das wissen wir spätestens seit Tschernobyl – ist eine Sache der besser gestellten Stände. Insbesondere des neuen Kleinbürgertums (früher nannte man das in bestimmten Kreisen „die Linke“). Hier ist im Katastrophenfall der Ausstoß von Angstsignalen intensiver. Die Halbwertszeit der Konsequenzen ist deshalb nicht unbedingt länger. Wann lässt die Angst nach? Wann beginnt man nach dem BSE-Skandal wieder Rindfleisch zu essen? Welche flankierenden Maßnahmen sind dazu nötig? Beruhigen uns wirklich die Zettelchen im Fenster des Fleischerfachgeschäfts mit der Beteuerung, hier werde nur feinstes Fleisch von ehrlichsten Bauern aus der Nachbarschaft verkauft? Wie ist das mit verdächtig billigem Olivenöl? Mit gepanschtem Wein, vergammeltem Schweinefleisch? Mit genetisch verändertem Mais?

Tatsächlich sind unter den verschiedenen Angst auslösenden Dingen diejenigen am gruseligsten, die direkt in unser Körperinneres gelangen: die unheimlichen Eindringlinge der unsichtbaren Krankheitserreger – und das, was wir selber beim Essen in uns hinein befördern. Insofern ist im Fall dieser Art von Bedrohung – bei der Vogelgrippe kommt beides zusammen – eigentlich nicht die Angst das zu klärende Phänomen, sondern ihr regelmäßiges schnelles Verschwinden. Die Angst kommt. Und sie geht. Und wir leben damit. Wie selbstverständlich.

Das ist zum einen dem „System Angst“ selber geschuldet: In unserem psychischen Haushalt hat Angst die eminente Funktion einer Alarmanlage: Sie warnt vor einer (inneren oder äußeren) Gefahr, versetzt uns physisch wie psychisch in einen Zustand der gesteigerten Aufmerksamkeit, der Abwehrbereitschaft. Unser Angstsystem ist archaisch, es scheint auf das punktuelle Überleben von Schrecksituationen eingestellt. Danach sinkt der Angstpegel. Das ist notwendig: Permanente Angst macht krank. Wir haben Grund, sie zu meiden.

Dies – und das ist die andere Seite – umso mehr in einer Welt, die ständig von hausgemachten Katastrophen heimgesucht wird. Der Grad der Gewöhnung an Vergiftungsgefahr ist immens groß geworden – zumal jeder ein Bewusstsein der eigenen Ohnmacht hat, etwas dagegen zu tun.

Was bleibt, ist das zyklische Steigen und Sinken unseres kollektiven Angstpegels – ein Rhythmus, der inzwischen den „natürlichen“ Gezeiten der modernen Anthropologie entspricht: Angst und Aufatmen.

Bis zur nächsten Katastrophe.