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Archiv-Artikel

Alles im grünen Bereich?

Die Bilanz nach einem Jahr Kioto-Protokoll ist zwiespältig. Doch der Vertrag bietet nun eine gute Grundlage zur Linderung vieler ökologischer und wirtschaftlicher Probleme

Einst war Deutschland ein Vorreiter. Heute sollte man sich besser ein Vorbild an denBriten nehmen

Ein Jahr ist das Kioto-Protokoll zum Klimaschutz nun in Kraft. Bislang konnte es nicht verhindern, dass sich die Erdatmosphäre weiter aufheizt. Im Gegenteil: Jüngst veröffentlichte Studien warnen vor dramatischen Auswirkungen und mahnen radikalere Schritte an. Ist der Kioto-Vertrag also obsolet, bevor er seine Wirkung entfalten konnte?

Seine Befürworter gaben sich nach der letzten Klimakonferenz in Montreal im Dezember optimistisch. Sie glauben, dass weitere notwendige Emissionsreduktionen verhandelt werden können. Kritiker hingegen halten das Vertragswerk für völlig unzureichend. Die angestrebten Verminderungen würden nicht einmal annähernd ausreichen, den globalen Temperaturanstieg in dem Maße zu stoppen, um schwerwiegende Folgen des Klimawandels zu vermeiden.

Mit Kioto verhält es sich jedoch wie mit der Demokratie. Der Vertrag ist nicht perfekt, ein ewiger, oft zäher und frustrierender Interessenausgleich, der zu schwachen Kompromissen führt. Aber einen besseren gibt es nicht, und weiter reichende Verpflichtungen sind gegenwärtig überhaupt nicht durchsetzbar. Übertriebener Optimismus oder Defätismus helfen da nicht weiter. Nüchtern sollte analysiert werden, was Kioto geleistet hat und leisten kann.

Auf der Habenseite steht: 155 Staaten haben ihn ratifiziert; allein der Verhandlungsprozess hat eine enorme Öffentlichkeit erzeugt und dazu geführt, dass weltweit die Datenlage zu Emissionen verbessert wurde, dass Länder erstmals Emissionsregister eingeführt haben. Er hat den multinationalen Emissionshandel und preiswerten Technologietransfer in Entwicklungsländern geschaffen. Kioto unterscheidet sich von anderen Umweltabkommen auch dadurch, dass die Privatwirtschaft einbezogen wird in die Vertragserfüllung von Staaten. Kein anderer internationaler Vertrag konnte zudem so viel Geld für Umweltschutzprojekte mobilisieren.

Sein größtes Defizit: Die USA sind nicht mit im Boot. Doch auch jenseits des Atlantiks entfaltet Kioto eine progressive Dynamik. Zwar zeugen die Ablehnung von Kioto und die aktuelle Klimapolitik von der gefährlichen Ignoranz der US-Regierung. Doch das Weiße Haus ist zunehmend isoliert. Bundesstaaten, Kommunen und Firmen gehen voran. So verabschiedeten im Dezember sieben Neuenglandstaaten eine regionale Klimainitiative, die, vergleichbar mit Kioto, rechtlich verbindliche CO2- Reduktionsziele festschreibt. 200 Bürgermeister des Landes wollen in ihren Städten die Kioto-Standards erfüllen. Kalifornien verlangt ab 2009 für neu zugelassene Autos strenge Emissionsstandards.

Auch die Wirtschaft ist längst aktiv. Der Harvard-Ökonom Richard Sandor hat in Chicago eine Börse für Emissionsrechte gegründet (die Amerikaner erfanden im Übrigen den Emissionshandel und verankerten ihn ironischerweise im Kioto-Protokoll). Über dreißig Unternehmen konnte er für den Handel gewinnen, darunter Konzerne wie Ford, Motorola und DuPont. Sie alle haben sich freiwillig verpflichtet, jedes Jahr ein Prozent weniger CO2 auszustoßen.

Die Europäer können sich zwar zu Recht als Vorreiter in der Klimapolitik sehen, doch die Ambitionen der einzelnen Staaten sind sehr unterschiedlich. Deutschland spielte eine starke Rolle bei den Kioto-Verhandlungen und begann früh, seine Emissionsziele umzusetzen. Doch seit einigen Jahren herrscht Stillstand. Die Wirtschaftskrise forderte ihren Tribut, Wachstum sollte her, da kommt es auf ein paar Tonnen Kohlendioxid mehr nicht an.

Auch was den EU-Emissionshandel anbetrifft, blockiert die deutsche Industrie. Die Unternehmen tun sich schwer mit dem CO2- Handel und scheinen lieber staatlichen Vorgaben zu folgen. Diese Haltung wird in der Öffentlichkeit allerdings wenig wahrgenommen.

Zudem kann vor allem die Energiewirtschaft derzeit, angesichts steigender Strompreise, leicht gegen drastische Reduktionsziele polemisieren. Fordern Umweltschützer ein schärferes Zuteilungsgesetz, das in Deutschland die Verteilung der erlaubten Emissionen regelt, oder gar die Emissionsrechte zu auktionieren (und nicht wie bislang frei zu verteilen), drohen die Energieversorger, die dann notwendigen Investitionen auf den Kunden abzuwälzen – und das, obwohl sie derzeit in Geld schwimmen.

Aber auch die deutsche NGO-Szene blockiert Innovationen. Zwar begrüßen die Umweltschützer mittlerweile den Emissionshandel zwischen Industriestaaten als wirksames Instrument. Doch andere Kioto-Mechanismen, wie die Anrechnung von Emissionsreduktionen in Entwicklungsländern durch Klimaschutzprojekte, gilt vielen immer noch als Ablasshandel. Gänzlich verwerflich finden sie die Idee, in Zukunft Wälder in den Klimaschutz einzubeziehen. Und das, obwohl 25 Prozent der Welt-CO2-Emissionen über das Abholzen von Wäldern ausgestoßen werden.

Die Deutschen sollten sich daher ein Vorbild nehmen an Großbritannien. Kein Land hat sich Klimaschutz so sehr auf die Fahnen geschrieben – und kein Staatschef so wie Tony Blair. Konsequent stellten die Briten ihre Wirtschaft von Kohle auf Gas um. Bevor die Kontinentaleuropäer mit Emissionshandel starteten, verfügten sie über ein nationales Handelssystem. Energiekonzerne wie BP und Shell gehörten zu den Ersten, die die Zeichen der Zeit erkannten. Und was Lösungswege anbetrifft, um die Erderwärmung aufzuhalten, agieren die Briten pragmatisch. Sie plädieren für die Einlagerung von Kohlendioxid in alte Bergwerksstollen oder Wälder als CO2-Speicher. Letzteres ist derzeit vielleicht der größte Streit unter Klimaschützern.

Zwar bleiben die USA außen vor. Doch auch jenseits des Atlantiks entfaltet Kioto eine progressive Dynamik

Der andere Knackpunkt lautet: Wie lassen sich die aufstrebenden Wirtschaftsmächte China, Indien und Brasilien (Stichwort Wälder) einbeziehen, die, und das wird gern übersehen, starke Verfechter von Kioto sind, den Vertrag ratifiziert haben, aber keinen Verpflichtungen unterworfen sind? Aufgrund ihrer drängenden Umweltprobleme wächst jedoch auch dort das Bewusstsein, dass Emissionsverminderungen notwendig sind.

Jetzt kommt es darauf an, dass die Europäer geschickt verhandeln. Dabei kann die EU von den USA lernen, die überraschend Chinesen und Inder für eine separate Klimainititative gewinnen konnten. Doch vor allem die Chinesen legen Wert darauf klarzustellen, dass diese Initiative keine Konkurrenz zu Kioto ist.

Selbst wenn es den Europäern gelingen sollte, China und Indien von verbindlichen Reduktionen zu überzeugen, ist Kioto kein Allheilmittel. Und es reicht nicht, die Welt vor einem folgenschweren Klimawandel zu retten. Insofern muss es beim Klimaschutz komplementäre Lösungen geben. Ob längere Laufzeiten sicherer Atommeiler in Europa, CO2-Steuern, höhere Energieverbrauchsstandards oder Wälder als CO2-Speicher: Kioto bildet dafür ein Fundament. Wie kein anderer Vertrag wurde er zum Katalysator, der viele ökologische und wirtschaftliche Probleme – gerade in Entwicklungsländern – lindern helfen kann.