: Der Kläger gilt als Querulant
Verbraucheranwalt Eberhard Ahr über das Kleingedruckte in den Verträgen, sittenwidrige Geschäfte, Imbisse an Autobahnen und die Frage, ob man einen Regenschirm in den Laden zurückbringen darf, wenn es gar nicht regnet
taz: Herr Ahr, unter welchen Umständen kann ein Verbraucher von einem Vertrag zurücktreten?
Eberhard Ahr: Es ist ein großer Irrtum, dass jedes Geschäft widerrufbar sei. Aber bei Haustürgeschäften, so genannten Kaffeefahrten,oder solchen, die man im Internet oder am Telefon geschlossen hat, gibt es gesetzlich geregelte Möglichkeiten. Auch bei Verbraucherkrediten oder bei Versicherungsverträgen.
Und welche sind das?
Der Kunde hat in der Regel ein Widerrufsrecht für die ersten beiden Wochen nach Abschluss des Vertrages. Auch gelten vertraglich vereinbarte Rücktritts- oder Kündigungsrechte. Die kann man auch länger vereinbaren.
Und sonst?
Sonst gibt es noch andere rechtliche Möglichkeiten, beispielsweise Reklamationen wegen Mängeln. Ein Ausstieg aus einem Vertrag ist auch dann möglich, wenn der Kunde zuvor falsch beraten worden ist, beispielsweise wenn bei Kapitalanlagen die Risiken nicht angesprochen worden sind. Oder wenn das Kleingedruckte nicht zu verstehen ist.
Das ist ja Definitionssache.
Ja, das stimmt. Der Vertrag ist dann gegebenenfalls unwirksam. Im schlimmsten Fall kann der Verbraucher mit dem Vorwurf, das Kleingedruckte sei „verwirrend“, vor Gericht gehen. Den Rest muss dann der Richter entscheiden.
Wie verhält es sich denn mit dem „Wegfall der Geschäftsgrundlage“?
Ein sinngemäßes, aber unrealistisches Beispiel: Ich kaufe mir einen Regenschirm und gebe ihn nach zwei Wochen zurück, weil es nicht geregnet hat. Das geht in der Realität natürlich nicht, aber etwas anderes: Ich kaufe mir einen Imbiss in Walle in einer guten Laufgegend, habe da bestimmte Umsatzerwartungen, und der Verkäufer bestätigt das auch. Und wenn dann dort plötzlich eine Autobahn gebaut wird und diese Voraussetzungen – gute Laufgegend und guter Umsatz – wegfallen, dann ist das eventuell ein Wegfall der Geschäftsgrundlage. Denn beide, der Verkäufer und der Käufer, hatten ja gerade das zur Bedingung, also zur Grundlage des Kaufs gemacht.
Wann ist denn ein Vertrag „sittenwidrig“?
Ein Vertrag wird dann so definiert, wenn das Unwissen oder die Unterlegenheit des Verbrauchers ausgenutzt wird oder wenn die Leistung nicht im Verhältnis steht. Beispiel Miete: Wenn der Vermieter 150 Prozent von dem verlangt, was die ortsübliche Vergleichsmiete beträgt, dann ist das Wucher und damit sittenwidrig. Dann sind die Verträge von vornherein unwirksam.
Das muss der Verbraucher ja erst mal merken.
Das stimmt. Deshalb sollten sich die Verbraucher bei Verträgen, bei denen sie unsicher sind, oder mit deren Materie sie sich nicht auskennen, immer neutral noch einmal beraten lassen. Zum Beispiel bei der Verbraucherzentrale oder in Bezug auf das Beispiel beim Mieterschutzbund.
Ist das Vertragsrecht in den letzten Jahren verbraucherfreundlicher geworden?
Die Chance für den Verbraucher, sein Recht durchzusetzen, oder die Möglichkeiten sich zu schützen, ist eigentlich besser geworden. Schlechter geworden in den letzten Jahren ist allerdings nach meinem Eindruck das Ergebnis. Das liegt eben daran, dass der Verbraucher die Voraussetzungen, die er braucht, erst mal alle beweisen muss. Und das ist oft schwierig, weil er ja eigentlich derjenige ist, der die wenigsten Informationen darüber hat und den schwierigsten Zugang. Und hinzu kommt, dass der Verbraucher vor Gericht nicht das beste Ansehen hat. Er wird oft als Querulant, als Prozesshansel angesehen, wobei auch oft übersehen wird, dass er ja viele Hürden überwinden muss, um sich überhaupt vor Gericht zu trauen. Die wenigsten trauen sich das überhaupt.
Interview: Monika Sowinska