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Archiv-Artikel

Glaube „to go“ und urbane Oasen

Die neue Dauerausstellung im Übersee-Museum erklärt, wie Asien tickt – zwischen heiliger Ruhe und Geschwindigkeitsrausch der Megacities. Der Blick auf die Gegenwart, sagt Kurator Andreas Lüderwaldt, schützt vor Kolonial-Romantik

Bremen taz ■ Der kleine Hindu-Gott aus Plastik hat einen Klebestreifen am Po, damit er sicher auf dem Armaturenbrett sitzt. Für Muslime gibt es den mobilen Gebetsteppich namens „Pocket Prayer“. Und der umsichtige Christ hat das „Emergency Prayer“ dabei. Falls ihm im entscheidenden Moment die Worte fehlen, braucht er nur abzulesen: „Please help and save us god.“ Außerdem steht da noch eine Nummer, wie ein geheimer Zugangscode zur Hilfe von oben.

Glaube to go – der Trend zum Beschleunigung macht auch vor der Spiritualität nicht Halt. Wo ließe sich das besser ablesen als in Asien, dem Ursprungsland aller großen Religionen. Ab heute zeigt das Überseemuseum seine neu gestaltete Asien-Dauerausstellung. 2,2 Millionen Euro hat man sich den Umbau kosten lassen. Nach Ozeanien und jetzt Asien steht bis 2009 noch die Überholung der Afrika- und Amerika-Abteilungen an.

„Indem man die Gegenwart zeigt“, sagt Andreas Lüderwaldt, Leiter der Abteilung Völkerkunde, „bewahrt man sich vor dem kolonialen Blick.“ Und doch gäbe es Museumsfans, die immer noch nach den lebensgroßen, zu idyllischen Familienszenen gruppierten „Neger“- und „Indianer“-Figuren verlangen, die schon in den Siebzigerjahren aus der Ausstellung verbannt wurden. Damals zog die political correctness ins Museum, die Schätze wurden mit didaktischer Sturheit nach Ländern geordnet.

Damit soll jetzt Schluss sein. Brunnenrauschen und Blätterrascheln empfangen den Eintretenden, ansonsten: Stille. Die Inszenierung mit Shinto-Schrein, Teehaus, Steingarten und Bambuswäldchen sei den Oasen nachempfunden, die man selbst in ostasiatischen Moloch-Städten finde, sagt Lüderwaldt. „Wer in Tokio durchatmen will, geht in einen Tempel.“

Getreu dem Ausstellungsmotto „Kontinent der Gegensätze“ schließt sich unmittelbar ein Abschnitt zum schwindelerregenden Wirtschaftswachstum der Megacities an. Computertomografie und Transrapid, Plüschtiere und 99-Cent-Ramsch dokumentieren die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Asien. Aber wie holt man den Geschwindigkeitsrausch Shanghais oder Singapurs ins Museum? Wie zeigt man rasantes Wachstum, Straßenzüge, die von einem Tag auf den anderen verschwinden und futuristischen Megabauten weichen, auf 20 Quadratmetern? Das biedere Stadtmodell jedenfalls kann die enorme Wandlungsfähigkeit kaum einfangen. Und auch der knallrote Toyota Celica, Symbol für das Überschwappen schnellen japanischen Lifestyles in das Deutschland der 70er-Jahre, steht etwas verloren in der Ecke.

Nach einem Geheimtipp befragt, führt Andreas Lüderwaldt zielstrebig vorbei an den spektakulären Inszenierungen zu einem kleinen Buddha-Vries aus Gandhara. Hier, wo die Taliban an den Buddha-Statuen ihr Mütchen kühlten, hatten schon Jahrhunderte zuvor islamische Bilderstürmer gewütet. Ein gefundenes Fressen für den Geographen Emil Trinkler, der 1927/28 ungeniert graben ließ. So kam das Relief aus dem zweiten oder dritten Jahrhundert nach Bremen. Es zeigt, wie Buddha-Anhänger ihren Meister nach dem Fasten mit Nahrungsmitteln versorgen. „Früher hat man Buddha nicht dargestellt. Das kam durch den griechischen Einfluss, durch Alexander den Großen.“ Deswegen sieht das kleine Multikulti-Denkmal fast aus wie ein klassisch-griechisches Relief.

„Zum Buddhismus haben wir eine riesige Sammlung, aber wir wollten alle Religionen in Asien vorstellen“, sagt Lüderwaldt. Das ermöglicht die Gegenprobe: Das Christentum auf 10 Zeilen erklärt, eine Thora-Rolle neben einer Tüte koscherer Gummibonbons – so stichpunktartig müssen die Einblicke in fremde Kulturen bleiben. Das ethnologische Blitzlicht auf das Vertraute zeigt, wie wenig man glauben soll, Asiens Denke zu verstehen, wenn man so knackige Stichworte wie „Himmelsbürokratie“ oder „religiöser Schmelztiegel“ liest.

Annedore Beelte

Sonntag, 12 Uhr: Talin Ochid, mongolischer Kinderchor, zu Gast im Museum