: „Eine Kanzlerin ist besser als die Frauenquote“
INTERVIEW HEIDE OESTREICH UND BASCHA MIKA
taz: Frau von der Leyen, Sie sind scheinheilig, prinzessinnenhaft, elitär und abgehoben – sagen ihre Kritiker. Alles falsche Etiketten?
Ursula von der Leyen: Solche Stempel werden mir aufgedrückt, weil ich vereine, was in Deutschland immer getrennt wird: das Bild der klassischen Mutter und das der Karrierefrau, die bei uns typischerweise kinderlos ist.
Offenbar glaubt man Ihnen diese wundersame Vereinigung von Unvereinbarem nicht so recht.
Das ist keine wundersame Vereinigung. Vor 18 Jahren habe ich tastend und mühsam angefangen, mir meinen Weg zwischen Beruf und Kindern zu suchen, und dabei die ganze Wucht der Probleme kennen gelernt. Schmerzhaft. Ich war oft verzweifelt, weil ich sah: Wie ich mich auch verhalte – es ist falsch. Bleibe ich mit den Kindern zu Hause, bin ich beruflich ausrangiert; bleibe ich berufstätig, dann gelte ich als Rabenmutter.
Aber als Ministerin scheinen Sie damit kein Problem mehr zu haben. Können Sie sich überhaupt noch vorstellen, dass es Personalchefs gibt, die Müttern sagen: Mit so vielen Kindern können wir Sie aber nicht einstellen?
Oh ja, das habe ich selbst erlebt. Und auch Chefs, die sofort gefragt haben, wie ich das denn schaffen will.
Am Sonntag sitze ich zu Hause im Kinderzimmer und lese Akten, haben Sie einmal behauptet. Eltern, die das vergeblich versucht haben, sagen, Sie reden schlicht Unsinn. Vielleicht haben Sie das Bild der Supermutter überstrapaziert?
Ich werde jetzt gar nicht auf Ihre Frage eingehen, weil sie so absurde Detaildiskussionen widerspiegelt. Darf jemand im Kinderzimmer Akten lesen können: ja oder nein? Damit werden Mütter, die erwerbstätig sind, ausgespielt gegen die, die zu Hause bleiben. Ich bin nicht die Supermutter. Ich habe aufgehört, als Ärztin zu arbeiten, weil ich den ungeheuren Druck nicht aushielt: eine gute Mutter sein und gleichzeitig als Gynäkologin in der Klinik einen Job machen, bei dem der kleinste Fehler ein Leben kosten kann. Ich war sieben Jahre zu Hause und anschließend oft nur stundenweise erwerbstätig. Erst danach begann meine politische Laufbahn. Natürlich habe ich die nicht im Kinderzimmer nebenbei gemacht.
Aber das ist doch das Image, das Sie von sich kreieren.
Es sind ganz unterschiedliche Bilder von mir im Umlauf. Ich frage mich immer, ob ich diese Person, die da beschrieben wird, auch kenne. Das Wort Image sagt genug: Es ist etwas Künstliches.
Erst wurden Sie als Übermutter der Nation aufgebaut, inzwischen beginnt die Demontage. Der Spiegel versuchte neulich, Sie als Schaumschlägerin zu demaskieren.
Dieser Verriss war sogar angekündigt. Eine Autorin hatte mich tagelang für ein Porträt begleitet. Das erschien nicht, weil es zu positiv war. Dann schickte man einen Mann mit eindeutigem Auftrag los. Es hätte dem Spiegel gut zu Gesicht gestanden, wenn er weniger kleine Männerfantasien hineinformuliert hätte.
Den Vorwurf, elitär zu sein, haben Sie sich aber auch eingehandelt, weil Sie Politik für Ihre eigene Klientel machen: die Mittelschicht. Ihre ursprüngliche Idee bei der steuerlichen Absetzbarkeit von Betreuungskosten war, das Kindermädchen für wenige zu fördern und nicht die Kita für alle.
Was heißt hier Politik für die Mittelschicht? Wenn wir mehr Kinder wollen, muss der Staat auch denen, die ihre Kinder selbst finanzieren, unter die Arme greifen. Familien sind nicht arm, weil Kinder arm machen, sondern weil ihre Eltern nicht arbeiten können.
Ihre Partei hat schließlich noch durchgesetzt, dass die Steuervorteile auch dann genutzt werden können, wenn ein Elternteil zu Hause bleibt. Dabei profitieren solche Hausfrauenfamilien doch schon vom Ehegattensplitting. Mit beidem zementieren Sie die Rolle des Heimchens am Herd. Wo bleibt da das neue Familienbild, das Sie propagieren?
Im Koalitionsvertrag wird am Ehegattensplitting nicht gerüttelt. Deshalb steht dieser Punkt auch für mich nicht zur Debatte. Die Frage bleibt, ob Kinderbetreuungskosten auch bei Ehen mit einem Verdiener absetzbar sein sollen. Wir sagen: Ja, weil es bildungspolitisch richtig ist, dass auch Kinder, deren Mütter zu Hause sind, ab drei Jahren in den Kindergarten gehen.
Auch beim Elterngeld – dem Lohnersatz, der Eltern für ein Jahr gezahlt werden soll – begünstigen Sie die Mittelschicht. Arbeitslose stehen damit schlechter da als jetzt.
Für das Elterngeld gibt es noch nicht einmal einen Gesetzentwurf. Ich frage mich, mit welchen Zahlen Sie rechnen. Bisher ist es doch so, dass eine allein erziehende Mutter ihren Job aufgeben muss, um die Kinder zu betreuen, und dann auf Sozialhilfe angewiesen ist. Das Elterngeld dagegen wird ihr 67 Prozent des früheren Einkommens sichern.
Aber nur ein Jahr lang. Im zweiten Jahr hat sie nichts mehr.
Dann könnte sie ja auch wieder erwerbstätig werden, in Teilzeit etwa. Wir sollten diese Dinge diskutieren, wenn die Zahlen auf dem Tisch liegen.
In Ihrer Partei sieht man so etwas gar nicht gern: als Mutter nach nur einem Jahr wieder in den Job …
Aber wir müssen doch auch an unsere Söhne und Töchter denken. Sie werden weder kontinuierliche Arbeitsverträge noch ein stetiges Einkommen haben – und zwar Frauen und Männer. Auch die Vaterrolle ändert sich. Was sollen die jungen Paare also machen? Sollen sie Kinder bekommen, ohne gemeinsam das Einkommen sichern zu können? Die sagen: Dann verzichte ich lieber auf Nachkommen.
Machen Sie das mal den Unions-Anhängern klar.
Aber wir können so nicht weitermachen. Wir müssen bloß mal den Blick auf andere Wissensgesellschaften werfen und schauen, wo mehr Kinder als bei uns geboren werden. Es sind die Länder, in denen Beruf und Familie wirklich vereinbar sind. Und diesen Ländern geht es wirtschaftlich insgesamt besser. Das Familienbild zu modernisieren ist eine ganz konservative Aufgabe, weil es die Familie als Wert bewahren will.
Das sieht die CDU-Basis anders. Diese Frau Ministerin verlangt, dass beide Eltern voll arbeiten, heißt es. Die wähle ich nicht mehr.
Aber ich bitte Sie! Ich habe Jahre zu Hause verbracht, und zwar glücklich. Ich habe Vollzeit gearbeitet, Teilzeit und sogar nur stundenweise. Die Familien sollen es halten, wie sie wollen. Wir sind wahnwitzig, wenn wir diese Gruppen gegeneinander ausspielen. Wir machen durch diese Glaubenskriege viel kaputt. Nur kann man nicht sagen: Wenn beide erwerbstätig sind, dann sind sie privilegiert, und wir lassen sie mit ihren Problemen allein.
Als Sie zwei Monate Elterngeld für Väter reservieren wollten, reagierte Ihre Partei, als wollten Sie die Herren entmannen.
Die Diskussion über einen angeblichen Zwang zur Windel hat mich wirklich entsetzt. Wenn mit so tiefer Verachtung über Erziehung gesprochen wird, dann muss es doch nicht mehr wundern, wenn junge Menschen – und gerade Männer – zögern, sich dem auszusetzen.
Ihr eigener Mann ist allerdings auch nicht beim Windeln zu sehen – obwohl Sie Ihre Familie als Rollenvorbild präsentieren.
Er wird auch nicht zu sehen sein, denn er will es nicht. Anfangs, als ich in Niedersachsen Ministerin wurde, traf ihn geballte Verachtung. Bei Bewerbungen für Forschungsprojekte wurde er sogar gefragt: Wie wollen Sie das mit ihren Kindern schaffen? Mein Mann hat gesagt, jetzt fehlt nur noch, dass Sie mich fragen, ob ich schwanger bin. Diese Verachtung hat ihn anfangs unglaublich verletzt. Ich hab damals gedacht: Ja, genau das musste ich mir fünfzehn Jahre lang anhören. Inzwischen haben wir gelernt, einfach unseren Weg zu gehen.
Haben denn nicht nur Sie ein Familienhandy für Kinderanrufe, sondern auch Ihr Mann?
Aber hallo!
Das heißt, wenn ein Kind oder der Hund krank ist, kümmert sich auch Ihr Mann darum?
Ja, selbstverständlich. Wer am Handy erreichbar ist, ist dran.
Weil Sie Zeit für die Familie haben wollen, verzichten Sie auf abendliche Empfänge und Kneipenbesuche mit den Parteifreunden. Aber in diesen informellen Runden wird auch Politik gemacht. Verpassen Sie nicht die Chance, Einfluss zu nehmen, wenn Sie bei solchen Treffen nicht präsent sind?
Es ist ein Risiko. Aber ich kann und will diesen Zeiteinsatz nicht bringen. Diese freie Zeit gehört den Kindern. Ich bin eher bereit, in der Politik zu scheitern, als diesen Preis zu zahlen. Erfolgreiche Politik kann sich ja wohl nicht in dieser Art von Handeln erschöpfen. Das hieße ja, wer als 25-Jähriger eines Tages eine Führungsposition nicht ausschließen will, der sollte keine Kinder haben. Das ist absurd.
Mit dieser Absurdität sind Frauen im Berufsleben ständig konfrontiert, das haben Sie selbst festgestellt. Sind es in Ihren Augen nur noch die Kinder, die Frauen an der Karriere hindern? Braucht man nur noch Familienpolitik und keine Gleichstellungspolitik mehr?
Nein, Gleichstellungspolitik brauchen wir auch. Allerdings gibt es Mischfelder. Wenn Frauen weniger Gehalt bekommen, weil sie das Risiko haben, ein Kind zu kriegen, ist sowohl Familien- als auch Frauenpolitik gefragt.
Aber das Kinderkriegen ist doch nicht der einzige Grund für Diskriminierung.
Das stimmt. Es ist sicher auch ganz schwer für Frauen in traditionellen Männerberufen. Das Krankenhaus ist ein klassisches Beispiel dafür. Es gibt kaum Chefärztinnen.
Was wollen Sie dagegen tun?
Dagegen kommt man mit Gesetzen nicht an. Schon meine Vorgängerin Renate Schmidt hat das Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft aufgegeben.
Dass verbindliche Instrumente geplant sind, wenn nicht mehr Frauen in Führungsjobs kommen, steht aber doch im Koalitionsvertrag.
Gesetzliche Regelungen würden uns nicht weiterbringen. Verbindlichkeit lässt sich auch mit freiwilligen Selbstverpflichtungen erzielen. Die freiwillige Bilanz, die wir jetzt mit der Privatwirtschaft ziehen werden, zeigt anhand von Zahlen, wie es in der Wirklichkeit aussieht, und stößt wichtige Diskussionen aus den Unternehmen heraus an. Das bewegt viel mehr, als wenn der ein Gesetz übergestülpt wird.
Also auch Sie knicken beim Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft ein?
Ich halte es für den falschen Ansatz.
Die EU hat jedes Mitgliedsland verpflichtet, zu prüfen, ob seine Politik Männer oder Frauen benachteiligt. Die Bundesregierung hat diese Gender-Überprüfung bereits 1999 beschlossen. Passiert ist wenig. Das geht jetzt wohl so weiter?
Mit Gender Mainstreaming hinken wir der internationalen Entwicklung hinterher. Andere Industrieländern sprechen längst schon von Diversity-Management. Das heißt, dass man die Vielfalt der Menschen sieht und ihre Potenziale nutzt. Es geht nicht mehr nur um Geschlechter, sondern auch um den ethnischen Hintergrund oder um Behinderung.
Aber auch wenn man die Vielfalt von Diskriminierungen beseitigen will, braucht man Quoten. Die Frauenquote war doch ein guter Anfang, oder nicht?
In den Parteien ist die Quote offensichtlich notwendig gewesen. Und das Beste ist, wenn man sie wieder abschaffen kann, weil man sie erreicht hat.
Die CDU hat doch gar keine Quote. Und einen sehr geringen Frauenanteil. Reicht Ihnen das?
Die CDU hat ein Quorum, aber wichtiger ist, sie stellt die erste Bundeskanzlerin. Das ist ein starkes Signal, das mehr bewirken kann als dreißig Jahre Quotendiskussion.
Feminismus ist altmodisch?
Der sehr feministische Ansatz ist in den 70er-Jahren unendlich wichtig gewesen. Aber er war konfrontativ. Nun hat die Welt sich weitergedreht und wir reden mehr über Gleichstellung von beiden Geschlechtern. Ich kann Ihnen unendlich viele berechtigte Beschwerden von Männern zeigen, die sich diskriminiert fühlen. Wir müssen den Blick erweitern.
Männer sind genauso diskriminiert wie Frauen?
Nein, das nicht. Aber je mehr Frauen in männliche Domänen vordringen, desto mehr müssen Männer gleiche Rechte in weiblichen Feldern haben. Die Vatermonate im Elterngeld stärken Vätern den Rücken.
Wenn Frauen immer noch stärker diskriminiert sind, dann muss man diese antiquierten Strukturen vielleicht auch mit altbewährten Mitteln bekämpfen, oder?
Es ist eine Illusion, zu glauben, dass Gesetze das Allheilmittel sind. Allein die Tatsache, dass wir auf einen deutlichen Fachkräftemangel zugehen, erhöht den Druck auf die Wirtschaft, Frauen wie Männern wirklich gleiche Chancen zu geben. Nur wer das tut, hat im Wettbewerb um die Fachkräfte die Nase vorn.
Und die nächsten zwanzig Jahre, bis der Nachwuchsmangel den Frauen hilft, wollen Sie gemütlich abwarten?
So lange wird es nicht dauern. Im Ausland ist es selbstverständlich: Wenn etwa Universitäten eine qualifizierte Person einstellen wollen, dann kümmern sie sich darum, dass auch der Partner seinen Job machen kann. Dazu gehört, dass für die Kinder gesorgt wird. Dort weiß man genau, wie man Arbeitskräfte rekrutiert. Deutschland muss aus seinem Dornröschenschlaf erwachen.