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Archiv-Artikel

Verfolgung, Asyl, Freundschaft

LEBEN Homosexuelle werden in Uganda verfolgt. Wie Esther, eine Journalistin. In Deutschland bekam sie Asyl, auch weil Freundinnen sie unterstützten

Esther sitzt in ihrer Wohnung in München, schwarze Möbel, weiße Wände, „I don’t like colours so much“

VON STEFFI UNSLEBER

Als Esther zur Polizei ging, weil nachts fremde Männer ihre Wohnung überfielen, sagten die Polizisten nur: „Lesbisch? Das ist illegal in Uganda! Das Einzige, was wir für dich tun können, ist, dich einzusperren.“

Und Esther, mehrfach vergewaltigt und traumatisiert und frustriert von ihrem Land, beschloss, endlich zu fliehen. Als sie in Deutschland war, legal, bei einem Journalisten-Austauschprogramm, erzählte sie der Seminarleiterin ihre Geschichte.

Darauf wurde eine E-Mail verschickt, über die Verteiler des Journalistinnenbundes. Karin Flothmann hatte sich gerade von ihrem Mann getrennt, als die Mail bei ihr eintraf, und Platz in ihrer Wohnung. Ob sie Essen für einen oder zwei kauft – völlig egal, dachte sie. Karin Flothmann, Mitte fünfzig, kurze Haare, rau, robust, sagte, sie könne die ugandische Journalistin aufnehmen. Sie räumte ihr Schlafzimmer und Esther zog ein.

Karin Flothmann dachte: Was mache ich, wenn sie einen Nervenzusammenbruch hat? Wähle ich 112?

Esther schlief, tagelang. Las viel. Putzte die Wohnung. Sie kochten. „Es war lustig“, sagt Karin Flothmann.

Es gab:

Huhn mit Erdnusssauce.

Kohlrouladen.

Sie gingen in Bars. Sie gingen tanzen.

„My personal“, sagte Esther zu Karin.

„My bodyguard“, sagte Karin zu Esther. Esther war mal Kapitänin der Rugby-Frauennationalmannschaft in Uganda. Lang her.

Eigentlich wollte Esther nur zehn Tage bleiben. Es wurden sechs Wochen. Dann musste sie nach München. Das Verteilungssystem EASY, die „Erstverteilung von Asylbegehrenden“, gibt es vor: Flüchtlinge aus Uganda müssen nach Bayern.

München? Karin Flothmann sagte: „Das ist so, als ob sie dich zurück nach Afrika schicken.“

Wieder bei null anfangen, dachte Esther.

Eine weitere E-Mail wurde verschickt, sie erreichte die Regionalgruppe des Journalistinnenbundes in München, und damit Elke Amberg. Sie holte Esther vom Bahnhof ab. „Tölpelhaft“, sagt sie. „Mit einem großen, strahlenden Lächeln“, schreibt Esther später in einem Artikel für das Onlinemagazin The Munich Eye. Wieder eine Journalistin, diesmal eine Lesbe.

Elke Amberg kannte verfolgte Lesben aus anderen Ländern. Sie wollte endlich helfen. Sie kümmerte sich um Esthers Verfahren, sammelte Geld, brachte ihr Nutella. Zwei weitere Journalistinnen auch. Und sie schrieben Artikel. Über die Verfolgung in Uganda, über die Schikanen für Asylsuchende.

Als klar war, dass es Esther im Asylbewerberheim schlecht geht, überlegte Elke Amberg, ob sie sie zu sich nach Hause holt. Ihre Freundin, die selbst mit traumatisierten jungen Frauen arbeitet, hat dann eine Grenze gezogen: Sie will das nicht. Und das kleine Häuschen im Neubaugebiet von München-Fürstenried, das mit dem Gartentor und den Gummistiefeln vor der Haustür, es blieb privat.

Esther blieb im Flüchtlingsheim, wo sie sich das Zimmer mit acht Frauen teilte, wo eine Nigerianerin nachts immer lauthals mit ihrem Freund telefonierte, wo Männerbesuch kam. Elke Amberg sieht immer noch gequält aus, wenn sie sagt: „Es ist klar, dass es ihr da scheiße ging.“

Flucht und …

Drei Jahre später sitzt Esther in einem Restaurant neben dem Münchner Hauptbahnhof und löffelt Leberknödelsuppe. Zu Elke Amberg hat sie keinen Kontakt mehr. Auch zu sonst niemandem aus der Regionalgruppe München.

Irgendwie ist das so passiert. Wer sich mit Esther verabreden will, muss das auch wirklich wollen: Sie geht kaum ans Telefon. Beantwortet E-Mails erst nach vielen Tagen. Reagiert nicht auf SMS. Kommt zum Treffen dann eine Stunde zu spät.

„I’m so sorry“, sagt sie, eine kleine, kräftige Frau, Anfang dreißig, mit breiten Narben, die sich von ihrer Wange bis zum Kinn ziehen. Wenn sie läuft, sieht es so aus, als hätte sie Schmerzen. Immer leicht vornübergebeugt. Manchmal fasst sie nach der Hand ihrer Begleitung. Dann lässt sie schnell wieder los. Elke Amberg hat mal die anderen Journalistinnen im Verein gefragt, was das ist: Ob Esther so flirtet? Immer dieses Händchenhalten, Tätscheln, die Umarmungen? Wenn Esther demonstriert, was Elke Amberg meinte, lacht sie verschämt.

Esther kommt aus einem Land, in dem es normal ist, dass Frauen Händchen haltend durch die Straßen laufen und in dem seit einigen Jahren über eines der schärfsten Anti-Homosexuellen-Gesetze des Kontinents beraten wird: „The Anti-Homosexuality Bill“. Die Bürger wären, wenn es durchkäme, unter Strafandrohung verpflichtet, Homosexuelle anzuzeigen. Als Höchststrafe sieht der Entwurf lebenslange Haft vor. „Wiederholungstäter“ könnten zum Tode verurteilt werden.

In Uganda glauben die meisten, Homosexualität sei der letzte Schrei aus dem Westen, sagt Esther. Eine Mode. Und: Dass sie vom Teufel besessen ist. Eine Krankheit hat.

Esthers Mutter ist früh gestorben. Sie wuchs bei ihrer Oma auf. Als sie zwölf war, hat ihr Onkel sie vergewaltigt. Wenn sie das erzählt, sagt sie zuerst: „Er hat was getan.“ Und dann, wenn die Ahnung da ist, nach ein paar Sekunden: „Er hat mich vergewaltigt.“ Sie floh, zu einer Freundin ihrer Mutter, zu ihrer „Auntie“ in die Stadt. Sie ging auf die Highschool, hatte mit 16 das erste Mal Sex mit einer Freundin, war danach mit ihr zusammen, zumindest eine Weile. Bis ihre Freundin einen Verehrer hatte, der in der Schule herumerzählte, dass sie, Esther, eine Lesbe sei.

„Ich weiß wirklich nicht, ob ich lesbisch geboren wurde oder ob es die Umständen waren: Männer haben mich angewidert“, sagt Esther.

Das nächste Mal wurde sie vom Mann der Auntie vergewaltigt. Als Esther ihr das erzählte, sagte die Auntie: Unmöglich. Sie glaubte Esther nicht, sie glaubte nur, dass Esther ihr den Mann ausspannen wollte. Und jagte sie aus dem Haus.

Esther versuchte, sich umzubringen. Nahm eine Menge Medikamente. Wurde schließlich von einer muslimischen Frau gefunden, die sie ins Krankenhaus brachte und danach in ihr Haus. Esther wurde Hausmädchen. Studierte. Fing an, als Journalistin für ugandische Zeitungen zu arbeiten.

Irgendwann rief ein Mann an, sagte, er hätte eine Story für sie. Er wolle sie persönlich treffen.

Sie trafen sich im Restaurant.

„Eigentlich habe ich keine Story“, sagte er. „Deine Familie wollte, dass ich dich finde. Sie wollen, dass ich dich heirate.“

Esther stand auf. „Du läufst nicht wieder weg!“, sagte er. „Ich habe schon für dich bezahlt!“

Auf der Straße schrie er: „Wisst ihr was? Sie ist eine Lesbe!“ Er stachelte die Leute auf. Esther entkam knapp. Sie hielt ein Motorradtaxi an: „Bitte, bring mich einfach hier raus!“

Der Mann lauerte ihr weiter auf. In Sportklubs, in Kneipen. „Du fühlst dich so klein“, sagt sie.

Irgendwann riefen ihre Onkel an. Die Großmutter sei krank. Dass das eine Lüge war, erfuhr sie erst, als sie schon in ihrem Heimatdorf stand. Ihre Onkel sagten: „Wir prügeln deine Sexualität aus dir raus.“

„Ich bin nicht lesbisch“, schrie Esther.

„Warum heiratest du dann nicht?“, schrien ihre Onkel. Auf dem Boden lag Glas. Sie schubsten Esther hinein. Die Scherben zerschnitten ihre Knie, ihren Kehlkopf. Und Esther, die viel Blut verlor und glaubte, sie wäre eh schon tot, packte die Scherben und zerschnitt sich das Gesicht. Sie wollte hässlich sein. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass sie überlebt.

… Zuflucht

Im Frühjahr 2011 wurde sie als Flüchtling in Deutschland anerkannt. Die erste Anhörung vor dem Bundesamt für Flüchtlinge und Migration musste abgebrochen werden, weil die Übersetzerin anfing zu weinen.

Die Frauen vom Journalistinnenbund hatten auf sie gewartet, in einem Café, sechs Stunden lang. „Ich war wirklich berührt“, sagt Esther.

Heute sind die Unterstützerinnen etwas enttäuscht.

„Ich habe sie ewig nicht mehr gesehen“, sagt sie. „Und ihre Mails sind superkurz.“

Sie hat ihr drei, vier Mails geschrieben, seit sie vor ein paar Monaten von einer längeren Reise zurückgekommen ist. Hat sie zum Essen eingeladen, hat gekocht, hat gewartet. Esther kam nicht. Elke Amberg lächelt. „Es ist immer irgendwas.“ Aber, sagt sie dann, „es war ja auch eine Art Zwangsfreundschaft. Esther war abhängig von unserer Hilfe.“ Wer ist schon gern abhängig?

Esther sitzt in ihrer Wohnung in München, schwarze Möbel, weiße Wände, graues Sofa, „I don’t like colours so much“, tippt mit zwei Fingern E-Mails und wartet, der Computer braucht heute wieder ewig. Auf einem Regal steht ein Foto, Esther sieht jung darauf aus, trägt ein gelbes Kleid, umarmt ihre Oma, die nicht weiß, dass sie lesbisch ist.

Esther wird nie mehr nach Uganda zurückkönnen, sonst verliert sie ihr Asyl, auch wenn ihre Freundin Tallie noch dort lebt und nachts heimlich Plakate aufhängt gegen Homophobie. Tallie hatte die Wahl, sie war vor einem Jahr in Deutschland, aber sie hat sich dagegen entschieden, mit Esther zu leben.

Tallie ist kaum zu verstehen, die Verbindung ist schlecht. Warum sie noch in Uganda ist? „I’m activist“, sagt sie, ihre Stimme klingt sehr weit entfernt. „I’m part of the voice. Ich muss hierbleiben, um dafür zu sorgen, dass wir irgendwann wie Menschen behandelt werden.“

* Esthers und Tallies Namen sind geändert. Esther verbirgt vor ihren afrikanischen Freunden in Deutschland, dass sie lesbisch ist