Neues Tempo der Sozialpolitik : KOMMENTAR VON BARBARA DRIBBUSCH
Bemerkenswert, wie schnell die Änderungen in den Hartz-Gesetzen für Langzeitarbeitslose durchs Parlament gewinkt wurden. Selbst die Bundesagentur für Arbeit stöhnte, dass sie angesichts des Tempos mit dem Neuprogrammieren der Software nicht hinterherkäme. Bei einer großen Koalition sind offenbar neue politische Geschwindigkeiten möglich – da es keinen staatstragenden Akteur mehr gibt, der Sozialkürzungen skandalisiert.
Wenn man die Diskussion mit ein paar ressentimentgeladenen Bildern führt, wird es besonders leicht. Es gibt keinerlei aussagekräftige Daten darüber, ob junge Erwerbslose massenhaft von zu Hause auszogen und so den Anteil der Singlehaushalte an den Hartz-IV-Empfängern in die Höhe klettern ließen. Aber die Einzelfälle, von denen jeder irgendwie gehört hat, reichen aus, um keine Empörung über die Kürzungen aufkommen zu lassen. Dabei wird mit den Einschränkungen für junge erwachsene Arbeitslose nun ein Familienzwang eingeführt, den es so nicht mal im alten Sozialhilferecht gab.
Die Absenkung des Rentenversicherungsbeitrages für Langzeiterwerbslose, ebenfalls gestern beschlossen, betrifft zwar Millionen Hartz-IV-Empfänger – jedoch erst in deren Zukunft. Sie hat zur Folge, dass Menschen mit Phasen der Erwerbslosigkeit Gefahr laufen, im Alter nur noch Kleinstrenten zu bekommen. Das Gesetz fördert also die Altersarmut, aber eben später, deswegen gibt es darüber jetzt kaum ein öffentliches Murren.
Ressentiments, Einzelfälle, zeitliche Verschiebungen – mit dieser Mechanik kann eine schwarz-rote Koalition ganz neue politische Geschwindigkeiten erreichen, zumal sie nicht mehr mit dem Widerstand des Bundesrats rechnen muss. Das Tempo zeigte sich schon im blitzartigen Vorziehen der Altersgrenzen für die neue Rente mit 67. Und das lässt nichts Gutes ahnen für die Behandlung künftiger Themen wie der Gesundheitsreform. Politische Geschwindigkeiten spiegeln auch Machtverhältnisse wider. Und da geht es bei der großen Koalition vor allem darum, was an Kürzungen bei einer Minderheit noch von der Mehrheit akzeptiert wird. Vielleicht wird das künftig sogar noch mehr sein, als wir heute glauben.
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