: „Berlin ist infantil, aber auch sehr süß“
SCHEITERN Größer, höher, weiter: Berlin wollte schon immer mehr sein, als es war, sagt die Buchautorin Cornelia Tomerius. Sie plädiert dafür, aus Misserfolgen zu lernen, sie als kulturelle Errungenschaft zu begreifen – und ihnen Denkmäler zu bauen
INTERVIEW SUSANNE MESSMER
taz: Frau Tomerius, Ist Ihr Buch ein Lästerbuch geworden, ein Buch gegen Berlin?
Cornelia Tomerius: Ich will bei dieser Welle des Berlin-Bashings überhaupt nicht mitschwimmen. Da gibt es nun wirklich genug. Außerdem wird dieser negative Ansatz der Stadt überhaupt nicht gerecht. Ich mag Berlin sehr gern.
Was ist so schön am Scheitern?
Das Scheitern bringt oft gute, ja wunderschöne Geschichten hervor. Und auf die ist man eben als Journalistin und Autorin aus. Man denke nur an den Spreepark: Da hat sich ja das Scheitern geradezu malerisch manifestiert. Außerdem scheitern oft die allerbesten Typen.
Welche Typen denn?
Gute Frage. Man kann die natürlich nicht über einen Kamm scheren. Aber vielleicht kann man sagen, dass Berlin die Unternehmer, die Macher-Typen lange Zeit eher abgestoßen hat. Es gab hier ja keine Industrie, keinen Markt. Dafür kamen die, die hier die Spielwiese sahen, das kreative Potenzial. Die jungen Männer, die nicht zum Militär wollten. Und die Künstler, Iggy Pop und David Bowie, die von der Mauerstadt fasziniert waren.
Und was ist mit den Urberlinern? Scheitern die auch?
Absolut. Auch, wenn man da ganz schnell beim Klischee ist.
Was erzählt das Scheitern eigentlich genau über Berlin?
Es erzählt viel über die Sonderstellung, die die Stadt seit dem Krieg hatte. Nach der Wende kam die Politik lange nicht damit klar, wie man mit Geld umgeht. Sie hatten es einfach nicht gelernt, denn sowohl Ost- als auch Westberlin wurden von ihrem jeweiligen System gepampert. Berlin war eine subventionierte Stadt. Dieser Aspekt kommt immer viel zu kurz.
Haben die vielen Pannen auch damit zu tun, dass Berlin so klein ist?
Berlin wollte immer mehr, als es konnte. Die erste Geschichte vom Scheitern ist ja die der Gewerbeschau 1896, die kurzerhand zur Weltausstellung erklärt wurde. Diese Geschichte erzähle ich in meinem Vorwort, denn sie ist die Blaupause für alles, was danach kam. Das Problem an dieser „Weltausstellung“ war: An 120 von 165 Ausstellungstagen regnete es. Die Besucherscharen blieben aus. Vieles, was in Berlin gezeigt wurde, hatte die Welt außerdem schon bei der Pariser Weltausstellung 1889 gesehen. Berlin will unbedingt Weltstadt sein, kann aber nicht so recht gegen seine Provinzialität an.
Das wirkt oft sehr tapsig, oder?
Dass sich Berlin immer mit den großen Städten vergleicht, mit Paris, London, New York: Das erinnert an das Verhalten eines kleinen Kindes, das unbedingt schon so viel können und haben will wie der große Bruder. Es hinkt ihm hinterher, ist ungeschickt, stolpert. Das ist infantil. Aber auf mich wirkt es auch sehr süß und sympathisch.
Wie haben Sie Ihre Pleitegeschichten ausgesucht?
Vieles ist regelrecht auf mich zugeflogen, und ich konnte gar nicht anders als darauf eingehen. Zum Beispiel der Flughafen. Dieses Kapitel musste ich als laufendes Verfahren behandeln. Es war das letzte, das ich abgeben durfte.
Mussten Sie auch Geschichten weglassen?
Ich hatte ziemlich schnell 50 Geschichten zusammen, und dann musste ich mich auf die Hälfte beschränken. Trotzdem habe ich darauf geachtet, nicht nur bei den Pleiten zu bleiben, die ohnehin noch im kollektiven Gedächtnis sind, sondern auch Geschichten zu erzählen, die nicht jeder kennt.
Zum Beispiel?
Die Geschichte des Fußballvereins Tasmania 1900. 1909 wurden sie zum ersten Mal Berliner Meister, in den fünfziger Jahren holten sie diesen Titel sogar drei Mal. Danach ging es bergab, aber 1965 flog Hertha aus der Bundesliga raus. Sie hatten ihren Profis höhere Handgelder gezahlt als vom DFB erlaubt. Tasmania durften aufrücken. Leider waren sie zu diesem Zeitpunkt nur noch bessere Hobbykicker, die Spieler viel zu langsam. Nach einem ersten gewonnenen Spiel folgte eine regelrechte Pleitenserie, gegen die weder Portwein noch Frustfuttern half. Am Ende hatten sie als Bundesligamannschaft die meisten Negativrekorde aufgestellt, die man sich nur denken kann – von den wenigsten Toren bis hin zu den meisten Heimniederlagen.
Welche der 21 Geschichten, die es nun ins Buch geschafft haben, hätte denn auf keinen Fall fehlen dürfen?
Mir hat es immer besonderen Spaß gemacht, wenn ich davon noch nichts gehört hatte. Ich bin aus dem Osten, daher kannte ich die Geschichte der M-Bahn noch nicht. Über die hatte ich mich wirklich sehr köstlich amüsiert, es war auch die erste, die ich aufgeschrieben habe. Dann gefällt mir auch die Geschichte des ersten Bügermeisters Böß, der völlig blauäugig und tollpatschig über den Pelzmantel seiner Frau gestolpert ist. Peinlich, aber niedlich.
Wie haben Sie all diese Geschichten recherchiert?
Es ist ja kein investigatives Buch, insofern bin ich auf keine Widerstände gestoßen. Ich war einfach nur sehr lang in Bibliotheken. Es ist einfach unglaublich, wie viele Berlinbücher es gibt.
Sie erzählen sogar die Geschichte des Stadtschlosses als Pleitengeschichte. Warum?
Das Schloss erzählt eine lange Geschichte des Scheiterns. Von Anfang an gab es Widerstände in der Bevölkerung. Und die es bauen ließen, fühlten sich überhaupt nicht wohl darin, zum Beispiel der Alte Fritz. Es gab wirklich sehr wenige, die das Schloss mochten. Außerdem ist mit der Geschichte des Schlosses die des Palasts der Republik verknüpft – und da hat man es auf jeden Fall mit einer Geschichte des Scheiterns zu tun. Der Palast war einer der wenigen Bauten, die die Ossis wirklich geliebt haben – ich darf übrigens Ossi sagen, weil ich selber einer bin.
Pleiten, Pech und Pannen: Wie kommt Berlin da jemals raus?
Soll es das überhaupt? Ich plädiere eher dafür, damit umzugehen wie mit anderen kulturellen Errungenschaften auch. Dass man das Scheitern anerkennt. Dass man aus den Krisen lernt. Und dass man jeder Krise ein Denkmal baut, falls nicht schon vorhanden wie beim Spreepark.
Was wäre, wenn Berlin nun langsam anfangen würde, weniger Pannen zu produzieren?
Dann wäre Berlin bald eine geleckte, perfekte Stadt und nicht mehr die, die wir alle lieben. All die prekären Existenzen, die immer knapp an der Pleite vorbei schlittern, hätten ein echtes Problem – denn dann gäbe es nichts mehr, was so herrlich den Druck rausnimmt wie eine Stadt, der es auch nicht anders geht als einem selbst.
Wird es einen zweiten Band mit Berliner Pleiten geben?
Ma kieken, wa? Vielleicht in 20 Jahren, zur Flughafeneröffnung!
■ Cornelia Tomerius: „Ach du dickes B. Eine Berliner Pleitengeschichte“. Berlin Verlag, 12,99 Euro