Sattes Geld dank Ökoboom

60 neue Ökosupermärkte wurden letztes Jahr gegründet, die Umsätze in der Branche steigen rapide. Leer gehen die kleinen Läden aus, absahnen können große Ketten wie Aldi, Edeka und Tengelmann

NÜRNBERG taz ■ Kaufen Sie vegetarischen Brotaufstrich! Nehmen Sie die Portion Bewusstsein mit! Dieses Angebot ist längst aus. Die Zeiten sind vorbei, in denen Läden wie „Löwenzahn“ oder „Haferstich“ die Konsumkritik mit in die Jutetasche packten. Das waren die Siebziger. Heute tragen Menschen Birkenstock zur Designerhose und kaufen Bioeier bei Aldi. Öko kommt an.

Letztes Jahr haben bundesweit 60 Ökosupermärkte neu aufgemacht – so viel wie nie zuvor. Allein in Berlin gibt es 30, so Kai Kreuzer vom Onlinedienst Bio-Markt.Info. Die Läden der neuen Gründungswelle heißen Alnatura oder Basic. „Erdkorn“ klingt zwar nach alten Zeiten, doch im ersten Biodiscounter Deutschlands sind die Regale schlicht, die Gänge breit: Der Gründer, Thomas Hinz, war einst Aldi-Manager. Vom einstigen Wollsockenimage bleibt nicht viel.

Die 15 Unternehmer, die hinter den Bioketten stehen, sind alle keine kleinen Körnerkrämer mehr. Alnatura-Chef Götz Rehn hat in den letzten 5 Jahren 100 neue Mitarbeiter eingestellt. Zurzeit sind auf der Internetseite 15 Stellen ausgeschrieben, immer bildet die Firma bis zu 21 Leute aus. Bemerkenswert: 16 der 25 Führungspositionen besetzen Frauen. Wer seine Umsätze steigert, braucht Personal.

Sattes Ökogeld verdienen mittlerweile aber auch Edeka, Rewe, Tengelmann und Co, die ihr konventionelles Sortiment mit ökologischen Produkten ergänzen. Zahlen für das Jahr 2005 gibt es zwar noch nicht, aber 2004 verkauften die traditionellen Handelsketten Biokartoffeln, -kekse oder -kaffee für 1,28 Milliarden Euro. Sie verdienten damit etwas mehr als die reinen Biomärkte. Abgeschlagen sind die Naturkostläden. Sie machten in derselben Zeit gerade mal 900 Millionen Euro Umsatz. Sie können nicht mithalten – bei den Preisen.

Im Naturkostladen zahlt der Kunde schon mal 99 Cent für den Liter Milch. Bei Edeka kostet er 75 Cent. Derselbe Preis bei Plus. Die Kette startete letztes Jahr eine große Biooffensive. Die Einkaufsmacht der traditionellen Ketten ist enorm. Die Biolieferanten fühlen sich geknebelt. „Aldi und Plus kaufen weltweit nur nach Preis“, kritisiert Bioland-Chef Thomas Dosch.

In der Region wirtschaften, Jobs schaffen, Umwelt schonen – die Grundsätze der Biopioniere schwinden. Allen, denen die „Bioschiene“ der großen Ketten zu billig vorkommt, rät Jörg Kunz von der Berliner Ökostrategieberatung, jetzt „die Nische in der Nische suchen“. Naturkostläden könnten sich als Fachgeschäft für Obst und Gemüse, für Torten und Kaffee profilieren. Kunz: „Klein – mit persönlicher Note.“ Die Vorstellung ist verlockend trendy: Sie klingt nach Bio im Retroschick.

HANNA GERSMANN