: Lo-Fi-Geschrammel und Selbstgefälligkeiten
KONZERT Thurston Moore rockt mit seiner neuen Band Chelsea Light Moving den gut besuchten Festsaal Kreuzberg. Seine Stimme hat dabei immer noch diesen adoleszenten Touch der Sonic-Youth-Songs
VON JENS UTHOFF
Thurston Moore ist schon eine ordentliche Erscheinung. Knappe zwei Meter misst der Mann, die Jazzmaster-Gitarre hängt an ihm herunter, das straßenköterblonde, leicht rötliche Haar genauso. Wie ein Vorhang bedeckt es seine Augen. Alle Strahler auf Moore, auf sein weißes Hemd, auf sein Kaugummi kauendes Mundwerk. Zwischen den Songs zischt dieses: „Happy 4th of July“, um dann rotzig hinterher zu setzen: „Fuck America“.
Moore spielte früher gemeinsam mit seiner Noch-Frau Kim Gordon bei Sonic Youth, eine der US-amerikanischen Indierock-Institutionen schlechthin. Die Band und die Beziehung gingen 2011 in die Brüche. Nun ist der mittlerweile 54-jährige Moore erstmals mit seiner neuen Band Chelsea Light Moving in Deutschland unterwegs. Entsprechend gut ist der Festsaal Kreuzberg am Donnerstagabend mit entsprechend betagteren Menschen gefüllt – ausverkauft ist der Saal aber nicht.
Klassische Rockriffs
Los geht es mit technischen Problemen und einem zickigen Moore, der direkt die Bühne verlässt, weil es nicht läuft wie es soll. Als dann die letzten Kabel geerdet sind, rocken und lärmen sie los, die drei Herren mit Dame am Bass, die sich nach einer Umzugsfirma der Minimal-Pioniere Steve Reich und Philip Glass benannt haben. Und im folgenden Set ist dann zwischen viel Lo-Fi-Geschrammel, Feedback-Orgien, dem Verzerrer-Fetisch des Herrn Moore und klassischen Rockriffs auch eigentlich alles dabei.
Der erste Höhepunkt ist „Empires Of Time“ vom jüngst erschienenen, selbst betitelten Debütalbum der New Yorker Band. Moore schwankt hin und her, lässt den Vorhang im Gesicht ebenso hin und her schwenken und singt lässig: „We are the third eye of Rock’n’Roll / We are the third mind of Rock’n’Roll.“ Seine Stimme hat dabei immer noch diesen unschuldigen, adoleszenten Touch, den man von so manchem Sonic-Youth-Song kennt.
Mit Burroughs gibt es dann eine Hommage an den Beat-Dichter William S. „Billy“ Burroughs zu hören – das Stück zählt zu den stärksten des Abends. „Hey Billy, what’s the cure for pain?“, fragt Moore den verstorbenen Autor, mit dem Sonic Youth zu dessen Lebzeiten zusammengearbeitet haben. Gitarrenparts grooven dazu, Moore mahlt das Kaugummi zwischen den Zähnen, ehe er fortfährt: „Hey Billy, the sweetest drug is free / will you please shoot it into me?“ Er wirkt dabei nicht wie jemand, der weiterer Drogen zwingend bedürfte.
Später widmet man sich via Song der popkulturellen Geschichte des Monats Juli, in dem nicht nur Bands wie Chelsea Light Moving gegründet wurden, sondern in dem auch ein weiterer Beat-Dichter – Frank O’Hara – von einem Strand-Buggy erfasst wurde (kein Witz), Mick Jagger geboren wurde und in dem auch Bob Dylan einen Motorradunfall hatte. Der Frank O’ Hara Hit, so der Titel, klingt dabei schräg und dissonant plätschernd wie ein Sonic-Youth-Song erster Güte.
Zwischendurch gibt es dann immer mal wieder repetitive Noiseparts, Geklimper, Soundbrei oder kleine Free Jazz-Einlagen. Nach einer guten Stunde folgt eine kurze Zugabe, das war’s dann. Und dennoch ist kaum jemand im Auditorium so richtig unzufrieden.
Wie ein Indie-Jagger
Moore neigt bisweilen nur ein bisschen zu sehr zur selbstgefälligen Pose an diesem Abend – zwischenzeitlich wirkt er wie ein Indie-Jagger oder wie ein Andy Warhol des musikalischen Underground. So kommt auch seine neue Band – namentlich Samara Lubelski, Gitarrist Keith Wood und Drummer John Moloney – im Laufe des Abends eher wie seine Begleitband rüber. Damit verschenkt er letztlich deren Potenzial – allesamt sind sie gestandene Musiker in anderen Konstellationen.
Zwar ist Thurston Moore nicht nur von seiner Statur, sondern auch von seinen Fähigkeiten an der Gitarre ein großer Mann. Etwas mehr Widerpart aber, den er im Bandgefüge von Sonic Youth stets hatte, kann der Kerl schon vertragen.