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Archiv-Artikel

Big Brother’s französisches Brüderchen

ÜBERWACHUNG Spione des Geheimdienstes DGSE hören und lesen immer mit – egal ob telefoniert oder gesurft wird. Das berichtet die Zeitung „Le Monde“. Eine gesetzliche Grundlage gibt es dafür nicht

PARIS taz | Die Zeitung Le Monde glaubt den Grund zu kennen, weshalb das von Edward Snowden aufgedeckte amerikanische Überwachungssystem Prism die französischen Behörden nur mäßig überrascht hat. In der Ausgabe vom Freitag enthüllt das Pariser Blatt, dass die Spione der Geheimdienstzentrale DGSE (Direction Générale de la Sécurité Extérieure) letztlich genau dasselbe praktizieren wie ihre Kollegen von der NSA in den USA.

Auf allen Kommunikationswegen – Telefongesprächen, SMS, E-Mail, Twitter, Facebook und anderen Internetverbindungen – werde alles mitgehört, mitgelesen und auf Jahre abgespeichert. Und das angeblich außerhalb des gesetzlichen Rahmens und in aller Heimlichkeit.

Noch schlimmer aber sei, dass diese ungeheure Menge an Daten nicht nur dem Geheimdienst zur Abwehr äußerer Bedrohungen und zur Bekämpfung des Terrorismus diene, sondern auch sieben anderen staatlichen Behörden zur Verfügung gestellt werde. Zu den Stellen, die sich in der Pariser Spionagezentrale der DGSE bedienen dürfen, gehören demnach auch die Zolldirektion und die für Geldwäsche und andere Finanzdelikte zuständigen Ermittler von „Tracfin“.

Die Flut der registrierten Kommunikation in Frankreich und mit dem Ausland ist jedoch so groß, dass sich die Auswertung vor allem auf die sogenannten Metadaten beschränke: Aus der Häufigkeit gewählter Telefonnummern und der Dauer von Gesprächen oder der wiederholten Betrachtung von Websites können die Nachrichtendienstler Profile und Netzwerke von Verdächtigen erstellen.

Was Le Monde darstellt, gleicht mehr dem Orwell-Roman „1984“ als der französischen Menschenrechtserklärung. Als fantasievolle Fiktion bezeichnet aber die für die Kontrolle der legalen Überwachung zuständige Kommission CNCIS die „Interpretation“ der Zeitung. Auch der Vorsitzende der Parlamentskommission für die Nachrichtendienste, der Sozialist Jean-Jacques Urvoas, relativiert: „Es entspricht nicht der Realität, dass unsere gesamte Kommunikation ausspioniert und gespeichert wird.“ Wenn in den USA die NSA großräumig quasi mit dem Schleppnetz fische, praktiziere die DGSE die Unterwasserjagd mit der Harpune. Dass der amerikanische Big Brother in Frankreich ein kleines Brüderchen haben soll, stellte aber auch er nicht in Abrede.

RUDOLF BALMER