: Hej, du kannst nicht ohne mich denken
IKEA In einem offenen Brief an das „liebe Ikea“ wehren sich Lübecker Kaufleute gegen die Ansiedlung des Möbelriesen mitsamt Shoppingcenter. Ähnliches taten bereits die Ikea-Gegner in Hamburg-Altona. Das blau-gelbe Branding scheint funktioniert zu haben
Alle Schweden duzen sich, glauben die Deutschen. Aber das ist nur die halbe Wahrheit.
■ Vor der Du-Reform der 60er Jahre umgingen die Schweden die direkte Anrede, indem sie jemanden in der dritten Person ansprachen. Seltener benutzten sie hingegen das unbeliebte „ni“ (dt. Sie).
■ Olof Palme setzte 1969 zu Beginn seiner Regierungszeit als Premier durch, dass die Duz-Gewalt vom Volke ausgehe.
■ Diese „Duz-Demokratie“ war zuvor bereits jahrzehntelang in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SAP) obligatorisch.
■ Anders als im Deutschen aber duzen sich Schweden, ohne dabei vertraulich zu werden.
VON UTA GENSICHEN
Es ist ein seltsames Phänomen, dass sich die Werbestrategie von Ikea jedem ins Gehirn brennt – ganz besonders aber seinen Gegnern. Zu sehen in der Sonntagsausgabe der Lübecker Nachrichten: Hier musste die Seite 9 für einen formatfüllenden offenen Brief Platz machen, betitelt mit der Anrede „Liebes Ikea-Deutschland“.
Die Unterzeichner unterlegten ihr Pamphlet an den Möbelriesen in den für Ikea typischen Farben blau und gelb. Ganze 86 Zeilen lang duzen sich die Gewerbevereine aus Bad Schwartau, Neustadt, Reinfeld und Ratzeburg durch den Brief. Das Schreiben ist bislang der Höhepunkt einer Kampagne von Einzelhändlern, die eine geplante Ikea-Filiale im Norden Lübecks verhindern wollen.
Ihre Kritik richtet sich vor allem gegen das von Ikea geplante Shopping Center, mit dem das so genannte Scandinavian Open Air Center erst perfekt werden soll. Auf rund 60.000 Quadratmetern stünden dann ab 2012 nicht nur ein Ikea-Markt, sondern auch Geschäfte für Mode, Lebensmittel, Unterhaltungselektronik, Bücher und Spielwaren. Hinzu kämen etwa 2.500 Parkplätze.
Für die Einzelhändler aus den Städten rund um Lübeck ist dieses blau-gelbe Szenario ein Albtraum. Sie befürchten eine Verödung ihrer Innenstädte und damit natürlich maximale Gewinneinbußen. „Also“, schreiben die Kaufleute Ikea in ihrem offenen Brief, „lass uns doch mal ehrlich darüber reden.“ Was dann folgt, ist ein sprachlicher Mix aus einem Ikea Family-Aufnahmeantrag und der Sendung mit der Maus. Denn während in Deutschland das Du ganz familiär nur für Verwandte, Freunde und Kinder bestimmt ist, ist die Bedeutung des schwedischen Du eine vollkommen neutrale. Hierzulande den „Hej“-Ikea-Duktus zu übernehmen, birgt immer die Gefahr, nicht für voll genommen zu werden.
„Liebes Ikea, du bist zu Recht Sympathieträger“, heißt es da. Oder auch: „Schließlich bist du kein rücksichtsloser Investor, dem die Standorte egal sind.“ Am Ende wünschen sich die aufgebrachten Einzelhändler vom „lieben Ikea“ sogar, „unsere gemeinsamen Kunden“ zu begeistern. Vor lauter „Du“s und schwedischem Weichspüler fällt dann kaum noch auf, dass hier ein Einkaufszentrum verhindert werden soll, das nach Befürchtungen seiner Gegner bis zu 1.000 Arbeitsplätze gefährden könnte. Ein Brandbrief sieht wahrlich anders aus.
Mehr Potenzial hat der offene Brief an Ikea-Gründer Ingvar Kamprad. Im September 2009 von einer Initiative in Hamburg-Altona verfasst, spricht auch dieses Schreiben eine auffällig angeschwedelte Sprache. „Hej Ingvar“, beginnt der Brief, der von Studenten und Kreativen unterzeichnet worden ist. Im Gegensatz zu den Lübecker Kaufleuten wehren sie sich jedoch gegen ein Ikea-Kaufhaus mitten in ihrem Stadtteil.
Nicht nur, dass dafür hunderte Künstler und Musiker ihre Ateliers aufgeben mussten. Auch vor dem Verkehrskollaps durch die motorisierten Kunden warnen die Ikea-Gegner. Ihnen zufolge würde Ikea außerdem die Kaufkraft derart aufsaugen, dass die benachbarten Läden in der Fußgängerzone mit Umsatzeinbußen rechnen müssten. „Wir bleiben dran, Ingvar“, schließen die „Anwohner, die keine werden“ ihren Brief. Ob Ingvar den Brief wohl je gelesen hat? Zumindest übersehen konnte man die Ikea-Gegner nicht. Monatelang klebten an jedem Pfahl und jeder Wand auffällig blau-gelbe Plakate. Der Ikea-Schrifttype nicht ganz unähnlich verkündeten die darauf gedruckten Buchstaben Sprüche wie „Hej, Ikea, du wohnst hier nicht“, „Ikea vermöbeln“ oder „Das Leben ist kein Möbelhaus“.
Wie wenig originell die blau-gelbe Karikierung aus Hamburg wirklich ist, beweisen nun die Lübecker Kaufleute. Die Idee, genau wie die Altonaer Künstler sozusagen per Du gegen Ikea zu kämpfen, hätten sie sich „im gemeinsamen Brainstorming“ alleine ausgedacht, sagt Jürgen Mohr, Sprecher der Initiative. Geantwortet habe Ikea auf den Brief bisher nicht.
Das muss der Möbelriese auch nicht. Denn mit seinen eigenen Waffen ist er nicht zu schlagen. Blau-gelbe Briefe und ein flapsiger Ton zeigen Ikea nur, dass seine Werbemaßnahmen aufgehen. Das Branding hat funktioniert. Wenn nicht mal den Gegnern des schwedischen Unternehmens besseres einfällt als den konzerneigenen Marketingstrategen, wer könnte die Ikea-Invasion dann noch stoppen? Hej, du!