Bratpfannenhelme im Sonderangebot

KOSTÜMVERKAUF Prinzessinnen, der Tod in mehrfacher Ausführung und weitere abstruse Gestalten bevölkern die Staatsoper Unter den Linden, die ihre alten Kostüme verscherbelt. Knapp 2.000 Jäger und Sammler haben dafür vielfältige Verwendung

„Wie soll ich denn da reinpassen, weder Arsch noch Titten passen da rein!“

VON MARTIN SCHWARZBECK

Gertraud Palm ist auf der Jagd. Gesenkten Blickes schleicht die 88-Jährige mit der riesigen Pelzmütze durch Reihen von Kisten und Kleiderständern. Hat sie Beute erspäht, ruckt ihr Körper nach vorn, drängt die anderen Kauflustigen beiseite, während ihre Hände geübt die Qualität der Stoffe analysieren. Es gibt nur sie und die Beute und den über ihrem Arm anschwellenden Kleiderberg.

Ungefähr 2.000 Menschen besuchen an diesem Samstag den Kostümverkauf der Staatsoper Unter den Linden. Unter den mächtigen Kronleuchtern des Apollosaals läuft ruhige Jazzmusik, die Angestellten sind mit roten Jacketts oder Maßbändern um den Hals uniformiert, festliche Garderobe steht bereit. Unter den Gästen tummeln sich Schachfiguren in grellroten Plastikoveralls, ein Pinguin, der Tod in mehrfacher Ausführung sowie zahlreiche Prinzessinnen in prachtvollen historischen Kleidern. Leon, der mit seinem Papa da ist, hat einen Bratpfannenhelm im Wert von 5 Euro auf dem Kopf. Danny, 28-jähriger Artist, trägt ein Samtwams mit Puffärmeln aus der Oper „Romeo und Julia“, das 50 Euro kostet. Ursula Müller hat ihn gebeten, es anzuziehen. „Ich hab ’nen ähnlich hübschen Sohn, dem bring ich das mit, der sieht da bestimmt toll drin aus“, erklärt sie.

Auch Falk kauft nicht nur für sich ein. Auf den Verwendungszweck seiner Feuerwehruniform angesprochen, sagt der 24-Jährige Student selbstbewusst: „Na, das trag ich im Bett!“ Die 18-jährige Schülerin Julia ist, die Schleppe ihrer perlmuttfarbenen Robe hinter sich herschleifend, auf der Jagd nach dem perfekten Hut zum Outfit. Der zehnjährige Paul hat den perfekten Hut bereits gefunden, er verkleidet sich nächsten Fasching als Musketier. „Aber die Klamotten sind alle viel zu groß“, beschwert er sich. Die Größe der Kleidung, die nirgendwo angegeben ist, ist ein Problem. „Wie soll ich denn da reinpassen, weder Arsch noch Titten passen da rein!“, krakeelt es hinter einem Kleiderständer. Zwar stehen Paravents als provisorische Umkleiden bereit, doch der Platz ist rar. In den wenigen Spiegeln drängen sich kritische und begeisterte Blicke, werden unzählige Pirouetten vollführt.

Der Kostümverkauf findet alle zwei bis drei Jahre statt, „aber so einen Andrang hatten wir noch nie“, sagt Jana Bechert, Kostümassistentin im Haus seit über 25 Jahren. „Super, was weg ist, müssen wir nicht mitschleppen“, fügt Carola Toeppel, die Leiterin des Besucherservice, hinzu. Denn wenn die Staatsoper Unter den Linden im Sommer für mindestens drei Jahre ins Schiller Theater ins Exil geht, um das eigene Haus von Grund auf sanieren zu lassen, verlässt der Fundus das Haus hinter der Staatsoper endgültig, um an einem noch nicht festgelegten Standort mit den Lagern der anderen Opern und dem Ballett vereint zu werden. Von dort werden die Theater dann je nach Bedarf beliefert.

Das Haus hinter der Staatsoper belegt demnächst das Büro der Bauleitung, die weitere Nutzung ist offen. „Das Grundstück ist wahrscheinlich einfach zu wertvoll, um dort Kleidung zu lagern“, vermutet Staatsopern-Sprecher Johannes Ehmann. Seit den 1920er-Jahren waren Fundus und Werkstätten der Staatsoper in dem Gebäude untergebracht. Das Haus quillt über, „und an dem neuen Standort wird noch weniger Platz sein, deshalb wollen wir jetzt alles verkaufen, was wir nicht mehr brauchen“, sagt Toeppel. Dieser Wunsch hat ein breites Spektrum von Kostümfreunden angezogen. Cornelia, alterslose Diva in Schwarz, sucht vor allem prachtvolle Abendgarderobe. Peter Hoffmann, 60, jagt schwarze Hüte für den Männertag seines Sportvereins. Der grauhaarige Heiner sucht „was Attraktives für den CSD“. Doch er ist genervt. „Es ist überhaupt nicht klar, was für die Männer und was für die Frauen ist!“

Zwei- bis dreitausend Teile stehen zum Verkauf, schätzt Kostümassistentin Bechert. Das umfasst die Ausstattung aller Stücke, die endgültig abgesetzt wurden. Nur besonders schöne Kostüme oder die, die dank gängiger Größe und geringer Auffälligkeit wieder eingesetzt werden können, werden nicht verkauft. Und auch „Rüstungen, Waffen und Helme sind ein Schatz, den man hüten muss“, sagt Bechert.

Bärbel Jahn, freie Kostümbildnerin, shoppt „für locker 400 Euro“ für verschiedene Theaterprojekte. Sie erfreut das Preis-Leistungs-Verhältnis. „Ich weiß ja, wie aufwendig es ist, so ein Kostüm herzustellen“, sagt sie über die Kleidungsstücke, die für gewöhnlich nach Entwürfen externer Kostümbildner im Haus hinter dem Theater genäht wurden. Jahn selbst hat 2003/2004 während der von Doris Dörrie inszenierten Oper „Turandot“ in der Ankleide gearbeitet. Die Lack-Ensembles der Inszenierung, in denen die Gäste aussehen wie Schachfiguren aus Alice im Wunderland, werden heute auch verkauft. „Die Chorsänger haben das Zeug damals gehasst, es ist furchtbar schwitzig, und mit den Schuhen sieht man aus wie ein Playmobilmännchen“, erzählt Jahn.

Beim Kostümverkauf sind viele junge Frauen allerdings begeistert von den knallroten Lack-Moonboots, sie sind schnell ausverkauft. Die Plastikoutfits aus der Oper „Turandot“ sind bei Weitem die beliebtesten. Der zehnjährige Fabian Petzold sieht darin einem Verkehrshütchen sehr ähnlich: Das Kinderkostüm ist rot-silbern gestreift und hat Kegelform. Dazu trägt Fabian einen silbernen Gitterhelm mit Hörnern. Er braucht die Kombination für 35 Euro unbedingt, „um zu Hause damit rumzulaufen“. Seine Mutter höhnt: „Fragen sie ihn lieber mal, wo er das in seinem Zimmer verstauen will.“

Die Opernbelegschaft muss nicht mehr viel verstauen. Von dem Verkauf übrig bleiben nur wenige Kleider, eine Kiste Skelettfüße und ein Paar Filzstiefel. Selbst das lange Zeit unverkäuflich gebliebene Kleid der Isabell von Spanien aus der Oper Columbus von 1998 ist für 350 Euro über den Tisch gegangen. 30.000 Euro wurden eingenommen, schätzt Bechert, das entspricht in etwa den Einnahmen der vergangenen Verkäufe, „aber wir hatten diesmal vor allem Kleinzeug, vieles ab 1 Euro“, erklärt sie.

Kostümjägerin Palm ist am Ende hochzufrieden mit der Beute. „Soll ich Ihnen mal alles zeigen?“, fragt sie und beginnt stolz ihren überquellenden Trolley auszupacken. Sie will die Stücke hauptsächlich im Alltag tragen. Palm besitzt jetzt eine Kapitänsmütze, eine Filzmütze, eine Bluse mit Tigermuster und eine „traumhafte Satinhose“. Nur bei einer pinken Samthose und einer Weste mit Metallicfront ist sie sich über die Alltagstauglichkeit nicht ganz sicher. Aber man könne es prima zum Fahrradfahren anziehen, „dann wird man wenigstens gesehen“, erklärt die Rentnerin. In deutliche Erklärungsnot gerät sie angesichts einer Totenkopfmaske, die sie aus ihrem Wägelchen kramt. „Die verschenk ich vielleicht lieber“, sagt Palm verschämt. Da ist der Kaufrausch wohl etwas mit ihr durchgegangen.