Alleine vor Neumünster

Das schleswig-holsteinische Inland darf hoffen: Erstmals seit rund 150 Jahren hat sich wieder ein Biber im Landesinneren angesiedelt, und zwar vor den Toren von Neumünster. Der Haken: Der Nager bleibt wohl solo

Er ist jung, alleinstehend und mutig. Weil es ihm in seiner Familie zu eng geworden ist, hat er sich auf den Weg gemacht, und zwar dorthin, wo sich seit 150 Jahren niemand seiner Artgenossen hingetraut hat. Vermutlich ist er von der Elbe aufgebrochen und die Stör entlanggewandert, Kilometer um Kilometer, vorbei an Esesfeldburg, Itzehoe und Kellinghusen. Bis sich die A 7 vor ihm aufbaute – ein Hindernis, das aller Wahrscheinlichkeit nach noch kein Biber vor ihm zu Gesicht bekommen hat. Aber er hat die Hürde gemeistert: Denkbar ist eigentlich nur, dass er eine Brücke fand und unter der Autobahn durchwanderte. Die Fahrbahn zu queren, wäre wohl tödlich gewesen: „Biber sind nicht so flink“ sagt Ingo Ludwichowski von der schleswig-holtsteinischen Geschäftsstelle des Naturschutzbunds (NABU).

Nun also lebt der Biber an einem Nebenbach der Stör, wenige Kilometer vor Neumünster. Nachdem die Biber Mitte des 19. Jahrhunderts im großen Stil nahezu ausgerottet wurden, ist er der erste, der wieder im Landesinnern Schleswig-Holsteins siedelt – alle anderen Biberfamilien leben südlich von Hamburg, am Elbufer zwischen Lauenburg und Geesthacht. Ferner gab es wenige kurzzeitige Nachweise auch aus der Haseldorfer Marsch und von der Stör, wobei diese Biberfamilien zu den hartgesottenen gehörten: Um zur Stör-Mündung bei Glückstadt zu kommen, müssen sie den Hamburger Hafen durchqueren, und der ist mit betoniertem Hafenbecken und Schiffsverkehr für die Nager extrem schwierig zu passieren.

30 bis 40 Kilometer wird nun der Biber von Neumünster zurückgelegt haben, und das ist „eine gewaltige Distanz“, sagt Ludwichowski: „Die Biber können normalerweise nur ein paar Kilometer wandern.“ Allerdings dürfte es sich bei dem Neumünsteraner Biber um ein Einzeltier handeln und unwahrscheinlich ist, dass in Kürze noch ein Partner zuwandert. Obwohl das Biberrevier optimal wäre: Es ist ruhig und am Ufer stehen Zitterpappeln und Weiden, also jene Weichhölzer, die dem vegetarisch veranlagten Tier den Bauch füllen.

Gejagt wurde der Biber im 19. Jahrhundert wegen seines Pelzes und seinem Fleisch und in Deutschland konnten lediglich kleinere Bestände in Sachsen-Anhalt und Brandenburg überleben. Von da aus wandert der Biber nun seit den 1980er Jahren durch‘s Land – wobei Bayern seine Bestände mit einem Schlag durch die Ansiedlung skandinavischer Biber erhöhte. Aktuell wird der Bestand in Deutschland auf etwa 7.000 bis 10.000 Tiere geschätzt. Diese leben monogam in festen Familien – was den Solo-Biber von Neumünster doppelt revolutionär machen könnte. kli